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Zum Spekulieren an der Börse gezwungen

Energiekrise Weil der bisherige Stromanbieter der Esslinger Eissportgemeinschaft den Versorgungsvertrag gekündigt hat, muss der Verein die notwendigen Kilowattstunden auf dem freien Markt einkaufen – und sparen. Auch der Schwimmsportverein reduziert den Energieverbrauch, wo er nur kann. Von Andreas Pflüger

Die Explosion der Energiepreise betrifft so ziemlich jeden: kleine Betriebe, mittelständische Firmen, große Unternehmen – und natürlich alle Bürgerinnen und Bürger. Auch Sportvereine müssen sich ernsthaft mit den rasant steigenden Kosten befassen, erst recht, wenn sie eigene Liegenschaften haben und diese obendrein noch wahre Strom- oder Gasfresser sind. In Esslingen trifft dies vor allem auf den Schwimmsportverein (SSVE) und auf die Eissportgemeinschaft (ESG) zu.

Dem SSVE, mit 3300 Mitgliedern größter Verein der Stadt, gehört das Freibad auf der Neckarinsel. Die ESG wiederum, die 600 Mitglieder zählt, ist Besitzer und Macher des nach ihrem Vereinsgründer benannten Richard-Hirschmann-Eisstadions, das nur einen Steinwurf entfernt steht. Bei beiden Vereinen steht, neben dem üblichen Tagesgeschäft, längst das Thema Energie auf der Agenda. Ein Brandbrief, der Anfang Oktober von mehr als 550 Sportvereinen aus Baden-Württembergischen unterzeichnet wurde, macht jedoch deutlich, dass es im Land nicht nur ein paar wenige Betroffene gibt.

Die ESG ist von den Preissprüngen gerade besonders betroffen: Der bestehende Großkundenvertrag mit Vattenfall wurde seitens des Energieversorgers gekündigt. Einen neuen Anbieter zu finden war unmöglich, so dass sich der Verein seither auf der Strombörse tummelt. „Das ist für uns nicht nur Neuland, sondern auch ein bisschen wie Roulettespielen“, beschreibt der Vorsitzende Dieter Fingerle die Situation. So müsse man beispielsweise jetzt zum aktuellen Preis etwa für Februar oder März einkaufen. „Sind die Kosten später dann günstiger, hat man Pech gehabt und mehr bezahlt als eigentlich notwendig“, ergänzt er. Für den Oktober habe die ESG deshalb bereits einen mittleren vierstelligen Betrag in den Sand gesetzt.

Fingerle betont, „dass wir ansonsten bereits alle Maßnahmen getroffen haben, um Energie zu sparen“. Schon vor Jahren wurde die Beleuchtung auf LED umgestellt, und im öffentlichen Betrieb gibt es derzeit nur noch „halbes Licht“. Zudem hat der Verein Rollläden gegen den Wind und Rollos gegen die Sonneneinstrahlung angebracht und konnte den Verbrauch damit auch senken. „Wir sind wegen der momentanen Lage aber zum Spekulieren an der Strombörse gezwungen und wissen noch nicht, wie es weitergehen soll“, erklärt der Vorsitzende.

 

„Bis dahin sind wir womöglich pleite
Dieter Fingerle
Der ESG-Vorsitzende über die Tatsache, dass er erst im Februar einen Termin bei OB Klopfer bekommen hat

 

Einen verzweifelten Spendenaufruf an ihre Mitglieder hat die ESG bereits gestartet. Aber das dürfte im besten Fall wohl nur den berühmten Tropfen auf den heißen Stein bringen. Fingerle hadert deshalb auch und vor allem mit der Esslinger Stadtverwaltung: „Das Ehrenamt wird ja immer gelobt, aber wenn du was brauchst, bis du alleine. Das ist deprimierend.“ Er habe mehrfach um ein Gespräch beim Oberbürgermeister gebeten. „Jetzt habe ich bei Herrn Klopfer einen Termin im Februar. Bis dahin sind wir aber womöglich pleite“, schimpft der ESG-Chef. Ihm fehle für ein solches Verhalten das Verständnis, fügt er hinzu, zumal das Eisstadion in den Wintermonaten die meistbesuchte öffentliche Sportstätte in der Stadt sei. „Und da kannst du nicht auf einmal zwölf Euro verlangen, wenn ein Kind mal ein bisschen Schlittschuhlaufen will“, sagt Fingerle. Den Vorwurf, dass es mit der ESG keine Gespräche gebe, weist Niclas Schlecht, der persönliche Referent von OB Matthias Klopfer, indes zurück: „Zwischen dem Verein und Steffen Schmid, dem Leiter unserer Stabsstelle Sport, findet ein regelmäßiger Austausch statt.“ Schmid sei auch der richtige Ansprechpartner in dieser Sache, weil er in seiner Position mehr tun könne als der Oberbürgermeister, fährt er fort.

Was eine andere „Baustelle“ betrifft, die Fingerle ebenfalls auf den Nägeln brennt, räumt Schlecht hingegen einen Fehler ein: „Dass sich die Sanierung des Holzstegs von Oberesslingen – und damit von der S-Bahn aus – auf die Neckarinsel verzögert hat, ist ein Ärgernis.“ Stand jetzt würden die Arbeiten aber im veränderten Zeitfenster bis Mitte Dezember komplett fertig. „Der gesperrte Steg kostet uns 20 Prozent der Besucher“, hat Fingerle hochgerechnet. „Wenn uns jetzt das Weihnachtsgeschäft auch noch flöten geht, können wir zumachen“, betont er und hofft, dass Schlechts Einschätzung stimmt.

Weniger dramatisch ist – jahreszeitbedingt – die Situation beim SSVE, wenngleich sich der neue Geschäftsführer Manuel Späth zu seinem Start im September lieber andere Themen als die Energieproblematik vorgenommen hätte. „Wir haben einen Vertrag mit den Stadtwerken und uns darauf verständigt, dass wir die weitere Entwicklung auf dem Markt abwarten und im neuen Jahr wegen möglicher Tarifbedingungen nochmals reden“, sagt Späth. Gespart werde beim SSVE aber schon jetzt. Nicht nur das Freibad sei eingemottet. „Die Geschäftsstelle ist ins Privathaus unserer Schatzmeisterin verlegt worden, und die Gaststätte bleibt im Winter geschlossen“, erklärt er.

Dass der Sportbetrieb unter den Einsparungen leidet, sei aber keine Frage: „Da die Wassertemperaturen von den Bäderbetrieben abgesenkt wurden, haben wir unsere Kurse im Baby- und Kleinkindschwimmen abgesagt, weil es dafür einfach zu kalt ist.“ Späths Hoffnung ist derweil, dass keine weiteren Maßnahmen folgen, dass zum Beispiel Bäder geschlossen werden: „Ich glaube aber, dass in der Politik angekommen ist, was Sportvereine für die Gesellschaft leisten.“

 

Wie funktioniert die Strombörse?

Kündigung Nicht nur Kleinverbraucher, sondern auch und vor allem Großkunden haben von ihren Anbietern in den vergangenen Monaten „außerordentliche Kündigungen“ ihrer Strom- oder Gaslieferverträge erhalten. Das ist rechtlich und grundsätzlich möglich, wenn – wie es im entsprechenden Gesetz heißt – „hierfür ein wichtiger Grund vorliegt“. Aus Sicht vieler Energieversorger sind höhere Bezugspreise ein solch „wichtiger Grund“. Das allerdings sehen Verbraucherschützer anders: Erste Klagen gegen „außerordentliche Kündigungen“ gibt es bereits.

Stromhandel Da Strom nur sehr begrenzt gespeichert werden kann, wird auf dem Großhandelsmarkt mit Energiemengen gehandelt, die noch gar nicht vorhanden sind. Der Begriff Strombörse trifft auf diesen Markt also ziemlich genau zu, da die dort aufgerufenen Preise tagtäglichen Schwankungen unterworfen sind. Für Energie- und andere Großunternehmen gehört dieses Spekulieren auf gute Margen zum normalen Business. Mittlere und kleinere Kunden, die in diesen Handel nun plötzlich einsteigen müssen, können – ähnlich wie Kleinanleger an der Aktienbörse – damit aber rasch überfordert sein. eas