Außer Spesen nichts gewesen. In diesem Fall kostete der Gedankenflug über einen mit Unkraut bewachsenen Abschnitt württembergischer Eisenbahn-Historie bescheidene 16 000 Euro. Peanuts verglichen mit dem, was angestanden hätte, wäre der Zug richtig ins Rollen gekommen: 420 Millionen Euro für eine Schienenverbindung zwischen Göppingen und Kirchheim sind wirtschaftlich nicht vertretbar. Zu diesem Schluss kommt eine vor Kurzem veröffentlichte Studie, die die beiden benachbarten Landkreise Esslingen und Göppingen gemeinsam mit Anrainerkommunen vergangenes Frühjahr in Auftrag gegeben haben. Es ist die vierte Expertise zur Boller Bahn in zwei Jahrzehnten. Am Ergebnis ändert sich auch diesmal nichts. Die Mitglieder im Finanzausschuss des Esslinger Kreistags haben gestern einstimmig entschieden: Wir lassen die Finger vom Projekt. Damit folgten sie ihren Göppinger Kollegen, die vor zwei Wochen bereits zum selben Ergebnis gekommen waren. Die Vorstellung vom Ringschluss zwischen Fils- und Neckartal durch die Verknüpfung der früheren Voralbbahn mit dem stillgelegten Schienenabschnitt zwischen Weilheim und Kirchheim bleibt, was es ist: ganz nett, aber zu teuer.
Vorerst wohlgemerkt, denn die Kreisgremien haben auch entschieden, die Widmung der Trasse, die noch immer fest im Regionalverkehrsplan verankert ist, beizubehalten. Sollten sich die Rahmenbedingungen eines Tages ändern, stellte Landrat Heinz Eininger fest, könne man das Projekt neu bewerten. Wie sich die Zahlen im Nahverkehr in der Region Stuttgart entwickeln werden, weiß zur Stunde schließlich niemand. Immerhin würde die etwa 27 Kilometer lange Zugstrecke Pendlern aus dem Kreis Göppingen den Anschluss ans S-Bahn-Netz ab Kirchheim ermöglichen.
Fahrgastzahlen reichen nicht
Die Verfasser der jetzigen Studie, das Aalener Ingenieurbüro Brenner Bernard, gehen davon aus, dass eine Bahnverbindung von Göppingen über Boll, Weilheim und Holzmaden nach Kirchheim von maximal 1 800 Reisenden am Tag genutzt würde. Grundlage ist eine Verkehrsprognose für die Region Stuttgart bis 2025. Damit der Zugverkehr wirtschaftlich betrieben werden könnte, bräuchte es laut Rechnung der Verkehrsplaner allerdings mindestens 2 500 Fahrgäste am Tag. Schließlich drückt der Bau von bis zu fünf Bahn- und drei Straßenbrücken, die je nach Trassenvariante erforderlich wären, gewaltig auf den Preis. Der Lückenschluss zwischen Boll und Weilheim, wo auch die künftige Schnellbahntrasse entlang der Autobahn gequert werden müsste, ist der größte Kostentreiber.
„Man sollte auch mal sagen, es ist gut jetzt“, stellte der Esslinger Landrat zur neu aufgeflammten Diskussion über eine Investition fest, die laut CDU-Kreisrat Sieghart Friz „zwei Nummern zu groß“ ist. „Wir wollten Fakten - die haben wir jetzt.“ Die Kirchheimer Kreisrätin Marianne Gmelin (SPD) sprach von einer „charmanten Vorstellung“, von der sie sich nur schweren Herzens löse, während Grünen-Fraktionschefin Marianne Erdrich-Sommer feststellen musste, dass die Politik bei Schienenprojekten den realen Bedingungen seit Jahren hinterherhinke. Dass eine deutlich günstigere Stadtbahnlösung erst gar nicht untersucht worden sei, bemängelte Peter Rauscher (Linke). Doch auch er stimmte zu, das Projekt vorerst nicht weiter zu verfolgen.
Dieter Vetter dagegen will nicht aufgeben. Er ist Vorsitzender des Fördervereins „Ein neuer Zug im Kreis“, der seit fast 25 Jahren für die Rückkehr der Voralbbahn kämpft. Die inzwischen 68 Mitglieder wollen nicht nur informieren; sie sorgen mit schwerem Gerät dafür, dass die Strecke nicht völlig zuwächst. Was sichtbar ist, bleibt im Bewusstsein. „Wir können mit der Entscheidung leben“, meint Vetter, der überzeugt ist, dass sie in ein paar Jahren anders ausfallen würde. „Wenn die große Wendlinger Kurve gebaut wird und es eines Tages eine Direktverbindung auf die Filder gibt“, sagt er, „dann sehen die Zahlen ganz anders aus.“ Der 68-Jährige kämpft frei von parteipolitischen Interessen aus Überzeugung. „Auch wenn ich den ersten Zug, der hier fährt, ganz sicher nicht mehr erlebe.“