Schon beim Klang der drei Sätze des romantischen Komponisten Louis Théodore Gouvy ist klar: Das Pianisten-Ehepaar Yseult Jost und Domingos Costa spielt wie aus einem Guss und Geist, sie verstehen einander blind.
Der furiose Einstieg beim Prélude mit wuchtigen Akkordschlägen wirkt wie ein mächtiges Eingangsportal des Konzertabends. Dazwischen erlebt das Publikum musikantische Leichtigkeit im Capriccio - völlig entspannt und unangestrengt, aber perfekt - ehe im Satz Aubade und vor allem im Scherzo das wilde Laufwerk im Diskant die Zuhörer ins Staunen versetzt. „Gouvy ist teuflisch schwer zu spielen, seine Musik enthält Witz und Charme“, erwähnt Domingos Costa.
Im Jahr 1786 schrieb Wolfgang Amadeus Mozart sein „Andante mit Variationen“. Dem schlichten Thema folgen fünf köstliche Variationen, über die Albert Einstein sagte, sie seien „voller Charme und Klangreiz, ein Vortragsstück hinreißender Wirkung“. Unter den Fingern der beiden Künstler wird dieses Zitat nicht nur Wirklichkeit, sondern zum Traum. Duftig und perlend erklingen die Figurationen und Läufe; sie werden kontrastiert von den schreitenden Akkorden der Moll-Variation, der ein energischer Zugriff folgt, ehe das Thema sich zärtlich verabschiedet.
Mit Franz Schuberts Fantasie f-Moll betreten wir eine andere, „dunkle“ Welt. Der Unterton der Trauer ist ständig hörbar in diesem Werk, das im Todesjahr des Komponisten 1828 entstanden ist, also im gleichen Jahr, in dem er im Liederzyklus „Winterreise“ seine schwere Krankheit, seine enttäuschte Liebe und den letzten Gang des einsamen Wanderers thematisierte. Die beiden Werke sind im Duktus der Trauer verwandt.
Die Pianisten setzen die bedrückende Situation um mit unglaublicher Klangsinnlichkeit, die später kulminiert zu orchestraler Pracht. Die wütenden Akkordausbrüche vor dem Beginn der Fuge muten an wie das letzte Aufbäumen, ebenso die zwei extrem lange ausgehaltenen Akkorde, die ohne Zweifel im verminderten Septakkord den Todesschmerz und in seiner Auflösung den „Exitus“ darstellen. Die Intensität des Ausdrucks der beiden Interpreten sucht ihresgleichen.
Wenn man die Bezeichnung Symphonie hört, denkt man an ein Orchester. Der französische Komponist Claude Debussy verwendete diese für ein Klavierwerk zu vier Händen, die „Symphonie en si mineur, Andante cantabile“. Man traut seinen Ohren kaum: Durch die unendliche Anschlagsvielfalt und fein nuancierte klangliche Palette der beiden Ausnahmepianisten wird das Orchester überflüssig. Anfangs noch im spätromantischen Stil, wird im zweiten Satz alles Impression. Die Akkorde verschwimmen, gleichsam wie die Farben in Bildern des impressionistischen Malers Claude Monet. Wunderbar gelingt es dem Duo, mit zartem Huschen über die Tastatur in flirrenden Akkordbrechungen Assoziationen an das Flimmern des Lichts, das Wogen der Felder im Wind oder das Zittern der Pappeln in der Malerei der Impressionisten zu wecken. Einfach faszinierend, hochsensibel, großartig.
Die Aufführung von Debussys „Premiere suite d‘orchestre“ ist quasi eine Premiere in Kirchheim, denn das Werk ist erst 1994 aufgetaucht und wurde noch kaum aufgeführt. Andalusisches Kolorit versprüht Emmanuel Chabriers „Espanha“, ein kleines Stück, das nach einer Spanienreise des Komponisten entstanden ist. Das überschäumende Temperament in den rasenden Läufen intendiert das wilde südländische Treiben und die Tonrepetitionen imitieren offensichtlich Kastagnetten. Die fulminante Coda rauscht im Accelerando mit mächtig donnerndem Orgelpunkt und kaum zu überbietender Virtuosität dem Ende entgegen. Synchroner geht’s nicht!
Welch ein Konzertabend in Kirchheim. Europäische Spitzenklasse! Als Zugabe erklingt mit „Ode an Pan“ ein lyrisches Stück mit asiatischen Anklängen in den pentatonischen Skalen und in der Parallelakkordik. Fein differenziert, traumwandlerisch und wunderbar gespielt.