Portrait
Zwischen Kindern und Kunsthandwerk

Christine Mir-Vesely aus Denkendorf hat vor 35 Jahren als Steuerfachgehilfin ins Kunstgewerbe gewechselt. Dort hat die heute 63-Jährige ihre Nische gefunden.

Christine Mir-Vesely bepinselt die Stoffbahnen. Foto: Marion Brucker

Christine Mir-Vesely spannt einen weißen drei Meter langen knapp 50 Zentimeter breiten Schurwollstoff in einen Rahmen, nimmt Farben von einem Tisch, mischt sie in einem Schälchen, taucht einen dicken Pinsel hinein und trägt die Farbe auf den Stoff auf. Unter den Händen der 63-Jährigen entsteht ein Schal. Davor hat sie den Stoff zugeschnitten und an ihrer Nähmaschine eingesäumt. Heute steht diese in ihrer Werkstatt im Erdgeschoss, von der aus sie einen Blick in den Garten mit den alten Baumbeständen hat. Doch ab und zu nimmt sie diese mit in die obere Etage in ihr Zuschneidezimmer im Haus. So ist sie ihrem Mann Sergio Vesely näher, der im Zimmer daneben seiner Kunst nachgeht: malen, schreiben, Lieder komponieren. „Wir inspirieren uns gegenseitig“, sagt sie. Seit bald 40 Jahren sind sie ein Paar.

Patchworkfamilie

Den gebürtigen Chilenen, der im Zuge des Putsches in seinem Heimatland 1973 inhaftiert und gefoltert worden war und seit 1976 in Deutschland lebt, lernt die Münchnerin 1987 bei einem Urlaub am Gardasee kennen. Christine Mir-Vesely zieht nach einiger Zeit zu ihm nach Denkendorf. Beide haben kleine Kinder aus früheren Beziehungen, sie einen Sohn, er Sohn und Tochter. Sie leben als Patchworkfamilie, was zu dieser Zeit noch etwas Ungewöhnliches war, genauso wie Ganztagesbetreuung für kleine Kinder oder Homeoffice. Ihren Beruf als Steuerfachgehilfin kann sie, ob der Rahmenbedingungen, nur schwierig ausüben, zumal Großeltern, die einmal helfend einspringen könnten nicht in der Nähe sind. Ihre Familie lebt in Bayern, seine in Chile. Es ist die Zeit als sie mit der Seidenmalerei beginnt. Mir-Vesely lernt sie durch eine Arbeitskollegin kennen. Als sie im Frühjahr 1989 erstmals auf einem Kunsthandwerkermarkt in Esslingen ist, beschließt sie, sich um einen Standplatz zu bewerben. Sie bekommt einen im selben Jahr auf dem Weihnachtsmarkt. „Ich habe ein paar selbstbemalte Seidenschals und Krawatten angeboten und war sofort ausverkauft“, erinnert sie sich. Sie begreift: Das ist es, wie sich Arbeit, Familie und Kinder miteinander verbinden lassen. Es ist der Startschuss für ihren Kunsthandwerksbetrieb „Farbmelodien“. Der Name leitet sich von ihrer Kunst und der ihres Mannes ab. Zunächst konzentriert sie sich auf gemalte Seidenschals, zeichnet akribisch die Muster vor. Die filigrane Arbeit macht sie meist, wenn ihre Kinder bereits schlafen. Sie erinnert sich, wie sie für eine Milchfirma 100 Schals mit schwarz-weißen Kühen bemalt, mit dem Logo der Firma darauf. Eine Fleißarbeit. Doch dann ist der Boom mit bemalten Seidenschals vorbei.

Babypause als kreative Phase

1993 bekommen die beiden Künstler ihr erstes gemeinsames Kind, ein zweites folgt 1999. Sie nutzt die einjährige Babypause als kreative Denkphase, stellt um von Seidenmalerei auf Schals mit Farbverläufen. Mit dieser Technik kann sie Beruf und Familie noch besser vereinbaren. „Ich liebe es, meine Kreativität auszuleben und Spielräume für freie Zeiteinteilung zu haben“, sagt sie. Sie muss nicht wie beim Bemalen an einem Stück etwas fertigstellen, sondern kann ihre Arbeit unterbrechen. Sie weist auf den Schal vor sich, der trocknet, während sie schon den nächsten Stoff umsäumt.

Mit ihren selbst gemischten Farben, den Verläufen, hebe sie sich von anderen ab, erklärt sie. Zwischen März und Dezember ist sie jedes zweite Wochenende auf Märkten hauptsächlich in Baden-Württemberg und Bayern unterwegs. Sie verkauft nicht online, auch wenn sie eine Website hat. Dort stellt sie eine Auswahl ihres Schaffens vor, Schals, Ketten und Ohrringe aus selbst gefärbter Seide, Stulpen und Kleidung für Frauen wie eine Wickelhose aus Bourettseide oder eine Tunika aus Wolle. Dafür hat sie im Laufe der Jahre rund 100 Schnitte entwickelt. Es sind wandelbare Modelle. Mir-Vesely führt vor, wie sie eines als Cape, Stola ,Schal oder Rock tragen kann. „Ich mache nichts kompliziertes mit Abnähern oder eingesetzten Ärmeln, sondern Grundmodelle“, sagt sie.

Sie ist keine gelernte Schneiderin und fertigt nicht nach Maß wie ihre beiden Großmütter und ihre Mutter. „Das ist nicht mein Ding“, sagt sie. Doch Farben und Stoffe hätten sie schon immer fasziniert. „Wenn man mit Stecknadeln und Faden aufwächst, bekommt man ein Gefühl für das Material“, meint sie. Und genau das sei neben der Farbe ihre Stärke. Sie fertige alles aus edlen Stoffen, Seide, Wolle, Viskose oder Mischgewebe. Sie streicht über einen bereits fertigen Schal, der weich durch ihre Finger gleitet. Dann setzt sie sich wieder an die Nähmaschine, säumt den nächsten Schal ein. Sechs bis acht möchte sie an diesem Tag noch fertig machen.