Kirchheim. Der ideale Nachtwanderer ist über 25 Jahre alt, hat kein Problem damit, sich ab und an eine Nacht um die Ohren zu schlagen und ist interessiert daran, was Jugendliche umtreibt. Er kann zuhören, ohne zu belehren, auf junge Menschen zugehen, ohne sich ihnen anzubiedern.
Solche Menschen zu finden, ist gar nicht so einfach, weiß Heike Kunz, Leiterin des Sozialen Dienstes, die die Fachstelle Bürgerengagement betreut. Weil sich zum Projekt-Start im Mai nicht genügend Freiwillige gemeldet haben, werden die Nachtwanderer wahrscheinlich erst ab dem kommenden Frühjahr auf Tour gehen. Mittlerweile gibt es neun Interessierte, die im September geschult werden. Da sich der Sommer jedoch dem Ende zuneigt, lohnt sich ein Start in diesem Jahr nicht mehr. Für Heike Kunz kein Beinbruch: „Gut Ding will eben Weile haben“, sagt sie.
Eine, die sich bereits dafür entschieden hat, ab dem kommenden Jahr auf Wanderschaft zu gehen, ist Gertie Soßna. Ausschlaggebend für sie war, dass ihre Tochter in diesem Jahr das Haus verlässt. „Ich möchte weiterhin Kontakt zu Jugendlichen haben“, sagt sie. Weil ihr Einsatz abends gefragt ist, lässt sich das Ehrenamt gut mit ihrer Arbeit verbinden.
Was sie erwartet, weiß Gertie Soßna noch nicht genau. „In den Vorgesprächen hat man uns immer wieder gesagt, dass sich die Jugendlichen über die Nachtwanderer freuen und das Gespräch mit ihnen suchen“, sagt sie und schaut ein wenig ungläubig. Heike Kunz kann das bestätigen. „Die Jugendlichen freuen sich darüber, dass Erwachsene sich für sie interessieren“, weiß sie von ihren Kollegen aus Nürtingen und Filderstadt, wo das Nachtwanderer-Projekt seit einiger Zeit läuft. Die Kunst bestehe darin, sich gesprächsbereit zu zeigen, sich jedoch nicht aufzudrängen. „Die Nachtwanderer werden an ihren roten Westen zu erkennen sein. Das schafft einen Wiedererkennungswert“, sagt Heike Kunz. Mit der Zeit könne ein Vertrauensverhältnis, eine Beziehung zwischen Nachtwanderern und Jugendlichen entstehen. Ob es um den Streit mit der besten Freundin, Schulprobleme oder Krach im Elternhaus geht – die Freiwilligen haben ein offenes Ohr.
Wichtig ist: Die Nachtwanderer sind keine Sozialarbeiter. Sie können jedoch Ansprechpartner vermitteln, an die die Jugendliche sich wenden können. Außerdem wird es regelmäßig Treffen mit den Sozialarbeitern der Innenstadt geben, bei denen die Ehrenamtlichen ihre Erfahrungen weitergeben. Nachtwanderer seien auch keine Hilfspolizisten, betont Heike Kunz. „Ihre Aufgabe ist es nicht, beispielsweise die Vermüllung der Innenstadt zu stoppen“, sagt sie. Obwohl die roten Westen aussähen wie eine Uniform, hätten Nachtwanderer keinerlei ordnungsrechtliche Möglichkeiten und nicht mehr Rechte als jeder andere Bürger.
Wann und wie oft die Nachtwanderer unterwegs sein werden, hängt davon ab, wie viele Freiwillige sich melden. „Wenn es bei neun bleibt, werden wir nicht jedes Wochenende freitags und samstags laufen können“, sagt Heike Kunz. Möglicherweise sei das aber auch gar nicht nötig. „In Filderstadt sind die Nachtwanderer nur freitags unterwegs, weil die Jugendlichen samstags in Stuttgart sind“, sagt Heike Kunz. So etwas könne man nicht im Vorhinein planen. Fest steht jedoch, dass die Freiwilligen nicht allein, sondern in Teams zu dritt oder viert unterwegs sind.