Plochingen. Beim Betreten von Manuela Tirlers Stipendien-Atelier steigt dem Besucher Metallgeruch in die Nase. Rostig schwarz-braune Stahlskulpturen bilden einen harten Kontrast zu den weißen Böden des Ateliers, zaubern Schatten von Wäldern und Gräsern an die weißen Wände. Dicke Stahldrähte schlingen sich ineinander, wirken zuerst wie willkürlich aneinandergereiht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber: es gibt Struktur in diesem Gewirr aus astartigen Drähten. Manuela Tirler bringt Ordnung ins Chaos der Natur, ohne dabei den Eindruck von Bäumen, Ästen und Blättern zu zerstören. Sie lässt die harten Stahldrähte aus dem Boden wachsen als seien sie nur dünne Grashalme und sich im Wind wiegende Bäume.
Drei große Kugeln aus Stahldrähten stehen auf Sockeln in der Ecke des Raums, sehen aus, als habe man sie einfach zusammengeknüllt. Die Kunstwerke sind kaum von der Stelle zu bewegen, trotzdem sehen sie aus wie die Steppenläufer, die in alten Westernfilmen über die Straßen wehen. Fast absurd, wie etwas so Schweres und Unbeugsames so organisch und natürlich gewachsen wirken kann.
„Pars pro toto“ – Ein Teil steht für das Ganze. Das ist für Manuela Tirler ein Motto ihrer Kunst. Sie zeigt Ausschnitte der Natur, übertreibt und vereinfacht sie. Stellt Pflanzen in ihrer abstrahierten Form dar, spielt mit Stereotypen und Symbolen. Eine Reduktion auf das Wesentliche, das abver oft groß und auffällig. Die Wahl des ungewöhnlichen Materials Stahl ist für die Künstlerin eine weitere Stufe der Reduktion. „Äste sind mir zu organisch, sie haben dickere und dünnere Stellen. Stahldrähte sind überall gleich dick, so kann man zum Beispiel die Form eines Baums noch viel einfacher und schlichter darstellen.“ Schon immer stand die Natur Modell für die Kunst der 35-Jährigen. Die erste Arbeit, die sie in die Richtung lenkte, in die ihre Kunst heute geht, stellte Manuela Tirler 2003 fertig. Das war ein Jahr nach Beginn ihres Studiums der Freien Bildhauerei und Freien Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Die Inspiration kam damals aus Zeichnungen aus Kroatien, die Gesteinsstruktur zeigten. Später entdeckte sie zusätzlich auch die Makrofotografie als Inspirationsquelle.
Auch Stahlplatten mit hineingesprengten Kratern und Rissen zieren die Wände des Stipendiatenateliers. „Quakes“, zu Deutsch „Beben“, nennt die Bildhauerin diese Werke. Die teilweise englische Namensgebung ihrer Arbeiten hat Hintergrund: Manuela Tirler verbrachte Teile ihrer Kindheit in Morristown, Tennessee, und durfte 2007 im Rahmen eines Stipendiums nochmals in die USA reisen, diesmal nach San Francisco.
Manuela Tirler mischt inzwischen viel mit in der Kunstszene der Region. 2006 steuerte sie zum Beispiel zum Skulpturenradweg Osterburken eine 2,3 Meter hohe Arbeit bei. Die Bildhauerin arbeitet mit vielen Galerien zusammen. Ein unbeschriebenes Blatt war die gebürtige Stuttgarterin aber auch schon vor ihrer Annahme als Stipendiatin des Kreises Esslingen nicht. Schon vorher konnte sie einige Preise in ihrem Lebenslauf vermerken: 2005 und 2006 kürten sie die Freunde der Akademie mit den Preisen für „Raum und Zeit“ und für „Museum für Sedimentierte Kunst“. Zwei Jahre später folgte der Klettpassagenpreis, danach der Gerlinde-Beck-Preis. Seit 2010 ist sie Assistentin am Institut für Darstellen und Gestalten an der Universität Stuttgart, konnte aber in d en letzten zwei Jahren sogar von ihrer Kunst leben. Allein dieses Jahr ist sie an 15 Ausstellungen beteiligt, und die Kalender der kommenden Jahre füllen sich bereits. „Es klingt, als wäre da mehr drin“, meint die ambitionierte Künstlerin. Ihr Ziel für die nächsten Jahre: den Umkreis erweitern, deutschlandweit und sogar international ausstellen.
Seit 2010 ist Manuela Tirler Stipendiatin des Kreises Esslingen. „Das kostenlose Atelier hält einem den Rücken frei, sich zu entfalten und zu entwickeln“, schwärmt sie. Vor allem solche größeren Arbeiten seien jetzt viel einfacher möglich. Ihre Arbeitsfläche umfasst 85 Quadratmeter und einen Deckenkran. Purer Luxus, vor allem, wenn man so kostenaufwendige Kunst produziert. Die Vaihingerin arbeitet mit Sprengstoff und Baggern, braucht viel Platz. Der durch das Atelier gewonnene Freiraum sei kein Erfolgsgarant, betont sie, mache aber vieles möglich: „Wenn die Umgebung sich vergrößert, vergrößern sich auch die Möglichkeiten“.