Ostfildern. Der Begriff Drehpunkt ist eine Anlehnung an den WM-Song von Herbert Grönemeyer: „Zeit, dass sich was dreht“. Beim Einkaufsverhalten müsse „ein Drehpunkt entstehen“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Christina Frank. Mit der Stärkung kleinerer Läden am Ort schaffe man mehr Lebensqualität. Davon profitierten vor allem die weniger mobilen und älteren Menschen.
Frank hat das Modell nach der Schlecker-Pleite im vergangenen Jahr ins Leben gerufen. Allein im Großraum Stuttgart, den die Gewerkschaftssekretärin betreut, waren 650
Etliche Frauen waren gleich Feuer und Flamme für die Idee
Beschäftigte in 280 Filialen von der Insolvenz betroffen. Die Idee eines Neuanfangs mit der Beteiligung ehemaliger Schlecker-Mitarbeiterinnen ist Ende Juni auf dem Rückweg von der Gläubigerversammlung in Ulm entstanden. Etliche der arbeitslos gewordenen Frauen seien gleich Feuer und Flamme gewesen vom Vorhaben, Läden in Eigenregie weiterzuführen.
In Christina Frank haben sie eine außergewöhnlich engagierte und umtriebige Mitstreiterin gefunden. Seit Monaten rackert sie für ihre Idee, knüpft Kontakte, sucht nach Partnern, kümmert sich um Logistik und Organisation und schult die künftigen Kleinunternehmerinnen. Die Verdi-Frau ist überzeugt, dass das Modell Drehpunkt funktioniert und vielen auf der Straße stehenden Schlecker-Frauen eine Perspektive bieten kann. In Erdmannhausen (Landkreis Ludwigsburg) läuft der Laden bereits. Dort haben drei ehemalige Schlecker-Angestellte mit der Rechtsform einer Mini-GmbH Mitte November eine Filiale wiedereröffnet. „Abgesehen von einigen Kinderkrankheiten läuft es ganz gut“, berichtet die Gewerkschafterin. Beliefert wird die Filiale in Erdmannhausen von der neuen Rewe-Sparte „Für Sie“. Ähnliche Pläne gibt es nach den Worten Franks außer in Ruit auch in Schwaikheim, Plüderhausen, Hoheneck, Bietigheim-Buch, Stetten am kalten Markt, Wurmlingen und Eberstadt.
Um die 80 000 Euro sind laut Frank notwendig, um eine Filiale wieder zum Laufen zu bringen. Jede Mini-GmbH brauche Eigenkapital in Höhe von rund 30 000 Euro, das über den Verkauf von Stützli-Wertmarken und Spenden an einen Trägerverein hereinkommen soll. Den Rest, also um die 50 000 Euro, müssten die Betreiberinnen über einen Kredit finanzieren. Wichtig sei vor allem die Verankerung in der Bevölkerung, so Frank. Es müsse gelingen, viele Menschen von den Vorteilen der Nahversorgung über eine Bürgerdrogerie zu überzeugen. Mit dem Kauf eines Stützlis, einer Münze im Wert von 50 oder 100 Euro, könne jeder den Schleckerfrauen einen zinslosen Kleinkredit verschaffen. Für zwei Jahre liegt das Geld erst einmal auf Eis, ab dem dritten Jahr kann man mit den Wertmarken im „Drehpunkt“ einkaufen.
„Ich hoffe, dass uns viele Bürger unterstützen“, sagt Nuray Siphai. Auf dem Ruiter Weihnachtsmarkt seien sie und ihre beiden Kolleginnen auf eine sehr positive Resonanz gestoßen. Die 29-Jährige aus Altbach war elf Jahre als Verkäuferin bei Schlecker beschäftigt. Zuerst in Nellingen und die letzten drei Jahre in Ruit. Siphai ist überzeugt, dass der Laden in der Kronenstraße ähnlich gut laufen wird wie in Schlecker-Zeiten. Schon deshalb, weil man wegen der Nähe zum Samariterstift dort auf viele ältere Kunden bauen könne. Elfriede Wais sieht mit ihren 59 Jahren in der Mini-GmbH ihre letzte Chance, noch einmal beruflich Fuß zu fassen. Mehr als 20 Bewerbungen hat sie bereits geschrieben – ohne jeglichen Erfolg. „Es wäre super, wenn das mit der Bürgerdrogerie klappen würde“, sagt Wais. „Der Bedarf ist in Ruit jedenfalls da.“
Er könne nicht beurteilen, ob sich der Drogerie-Laden mit dem neuen Modell finanziell tragen wird, meint Ruits BdS-Vorsitzender Joachim Zieker. Doch hält er die mutige Initiative für unterstützenswert. Zieker ist überzeugt: Dem Einkaufsstandort Ruit täte das Projekt gut.