Franz Keil, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Sankt Ulrich in Kirchheim, spricht über die schwäbisch-alemannische Fasnet, Karneval und die Hintergründe von Fasching
„Nicht umsonst heißt es: Narren und Kinder sagen die Wahrheit“

Die Fasnet hat Hochkonjunktur. Schätzungen zufolge gibt es im Südwesten mittlerweile etwa 1 700 Zünfte, und immer mehr schießen aus dem Boden – auch in protestantischen Gegenden. So mancher beäugt das kritisch. Bianca Lütz-Holoch hat sich mit dem katholischen Pfarrer Franz Keil aus Kirchheim über die Fasnet, ihre Tradition und ihre Anziehungskraft unterhalten.

Herr Pfarrer Keil, Sie sind ein bekennender Fasnetsfan. Woher kommt diese Begeisterung?

FRANZ KEIL: Ursprünglich stamme ich aus Freudenstadt, wo Fasching eigentlich keine Bedeutung hat. Aber ich bin in Rottweil auf ein Internat gegangen – dort habe ich dann die Rottweiler Fasnet kennen und lieben gelernt.

 

Waren Sie dort denn selbst in einer Narrenzunft aktiv?

KEIL: Nein. In die Zünfte kamen nur echte Rottweiler rein. Aber ich hatte viele Freunde dort, die mir immer „­a‘ Kleidle“ für den Narrensprung und den Narrenmarsch gegeben haben. Wenn man das von einem Rottweiler bekommt, ist das eine hohe Auszeichnung.

 

Was haben denn die „Kleidle“ oder – wie man bei uns sagt – das Häs eigentlich noch mit dem ursprünglichen Sinn der Fasnet als ausgelassenes Schwellenfest vor der Fastenzeit zu tun?

KEIL: Die Fasnet ist eine Zeit, in der man Masken aufsetzt und einmal anders sein kann als sonst. Die Verkleidung ist wichtig, weil man mit ihr unerkannt so sein kann, wie man gerne sein würde. Für manche ist es auch eine Möglichkeit, einmal ihr wahres Gesicht zu zeigen.

 

Und der Rathaussturm?

KEIL: Ich glaube, der Gedanke, der dahinter steht, ist: Hinter der Maskerade sind alle gleich. Autoritäten wie Bürgermeister, aber auch Lehrer, haben dann nichts mehr zu sagen. Das bietet dem kleinen Mann die Chance, einmal ganz klar die Meinung zu äußern – ohne Nachteile zu haben. Das ist auch der Hintergrund des Karnevals im Rheinland.

 

Was halten Sie denn von Prunksitzungen?

KEIL: Sehr viel. Nicht umsonst heißt es: „Narren und Kinder sagen die Wahrheit.“ Jeder Politiker, der etwas auf sich hält, sollte so etwas anschauen. Dann weiß er, was das Volk über ihn denkt. Das gilt übrigens auch für unsere Bischöfe.

 

Sie meinen, denen sollte man auch ab und zu mal die Meinung sagen?

KEIL: Ich mache das fast jedes Jahr in der Faschingszeit. Dann halte ich eine Narrenpredigt in Versen. Mit dabei habe ich immer eine Puppe, einen kleinen Mönch mit dem Namen „Bruder Franz“. Er darf in meinem Namen predigen, den Autoritäten auf den Zahn fühlen und kritische Anmerkungen zur Kirche machen. Letztlich ist das auch eine Art von Verkleidung.

 

Schwäbisch-alemannische Fasnet oder rheinischer Karneval – was ist Ihnen denn sympathischer?

KEIL: Natürlich die schwäbisch-alemannische Fasnet. Der gravierende Unterschied ist ja: Bei der Fasnet zieht man sich an, beim Karneval zieht man sich aus. Funkenmariechen, die die Beine schwingen, gibt es hier nicht. Wir verhüllen uns.

 

Es tauchen immer mehr Narrenzünfte in Kirchheim und Umgebung auf. Was halten Sie davon?

KEIL: Das möchte ich nicht beurteilen. Was ich sehe, ist aber: Es ist schwierig, eine Fasnet aus dem Nichts aufzubauen. Das wirkt manchmal ein bisschen hilflos, und bei Dingen wie der Narrentaufe frage ich mich schon: Was soll das eigentlich?

 

Worauf führen Sie diese „Hilflosigkeit“ zurück?

KEIL: Auch wenn das jetzt unökumenisch klingt – was ich aber absolut nicht bin: In evangelischem Terrain eine Fasnet aufzubauen, ist ein Widerspruch in sich. Die Fasnet hat – nicht nur vom Wortursprung her – mit der Fastenzeit zu tun. Bevor es schwierig wird, lebt man noch einmal so richtig. Dann kommt der Aschermittwoch und es ist klar: Um Punkt 24 Uhr ist Schluss, dann beginnt eine andere Zeit, dann warten wir auf Ostern. Genau dieses Auf und Ab ist typisch katholisch. Der Katholizismus ist eine lebensfrohe Sache – was man vom Pietismus nicht sagen kann.

 

Heißt das aus Ihrer Sicht, dass die Fasnet in katholischen Gemeinden per se besser ist?

KEIL: Die Fasnet in Wernau und Neuhausen ist sehr schön. Das sind beides katholische Orte. Auch ein Blick nach Stuttgart zeigt: Die Fasnet dort funktioniert nicht besonders gut – im katholischen Bad Cannstatt dagegen ist das völlig anders.

 

Spiegelt der Aufschwung der Fasnet auch in evangelisch geprägten Gegenden aus Ihrer Sicht den Wunsch nach einer Rückkehr zu traditionellen Werten oder ist er einfach Ausdruck einer Spaßgesellschaft?

KEIL: Ich denke schon, dass das eher etwas mit Spaßgesellschaft zu tun hat. Aber ich glaube nicht, dass das gut gelingt. Denn Nachmachen ist eine Kopie, und die ist schlechter als das Original.

 

Was sollen dann Faschingsfans tun, die in evangelischen Gemeinden wohnen?

KEIL: Sie sollten sich entweder einer Zunft mit Tradition in einem anderen Ort anschließen oder sich etwas Neues überlegen, was zu ihrer Stadt passt, und eine andere Tradition begründen. Das hat zum Beispiel in Biberach mit dem Schützenfest und in Ravensburg mit dem Rutenfest gut geklappt.

 

Gehen Sie dieses Jahr zum Fasching?

KEIL: Ja, ich gehe nach Rottweil zum Narrensprung und treffe dort meine alten Klassenkameraden. Und natürlich gehe ich hier in Kirchheim zum Kinderfasching und zum Seniorennachmittag im Gemeindehaus von Sankt Ulrich.

 

Und als was verkleiden Sie sich?

KEIL: Das verrate ich nicht – sonst wäre die Verkleidung umsonst.