Kirchheim. Dass ein Abend, der sich mit den tabubeladenen Themen Krankheit und Tod befasst, so gut besucht wird, dass die vorhandenen Plätze gar nicht ausreichen, war schon ein erster Grund zur Freude.
Die vom Kirchheimer Club Bastion in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Hospiz getragene Veranstaltung war dann großartiges Geschenk und kleines Wunder, Meisterwerk der Emotionen und eine Ode an das Leben zugleich.
Wer schon einmal das Glück hatte, zwischen die Buchdeckel von Eric-Emmanuel Schmitts Geniestreich „Oskar und die Dame in Rosa“ zu geraten, weiß, wie erstaunlich kurzweilig, unterhaltend und dabei doch auch erfüllend die Beschäftigung mit dem Themenkomplex Krankheit und Tod sein kann. Der Schriftsteller erzählt die Geschichte eines zehnjährigen an Leukämie erkrankten Jungen, der nur noch zwölf Tage zu leben hat.
Dieses „schwergewichtige“ Büchlein, das man kaum wieder vor dem Erreichen der letzten Seite aus der Hand legen kann, konnte eine Lese-Epidemie auslösen, die eine Geschichte um Leukämie und Tod vielleicht zuletzt in der 70er-Jahren in vergleichbarer Auflagenstärke durch Erich Segals zudem hollywoodweichgespülte „Love Story“ erfahren hat.
Dass Eric-Emmanuel Schmitts mit dem deutschen Buchpreis daherkommender Millionenseller „Oscar“ von der österreichischen Ausnahme-Schauspielerin Eva-Maria Admiral kongenial adaptiert wurde, war an diesem Abend der nächste Erfolgsgarant einer nachdenklich stimmenden Begegnung mit menschlichen Unzulänglichkeiten.
Die nuanciert zwischen einem pragmatisch zupackenden Hoffnungsengel und einer auch auf dem Feld der Fantasie konditionsstarken Catcherin pendelnde Vollblutschauspielerin adoptiert als Ersatz“-Mama Rosa“ zuletzt das sterbende Kind mit kompromissloser Hilfsbereitschaft und lebensrettender Liebe.
Alle anderen Erwachsenen scheitern dagegen kläglich daran, dass sie dem aufgeweckten Jungen nicht die grausame Wahrheit sagen können. Während er sein nahendes Ende genauso wahrnimmt wie den schleichenden Rückzug seiner wichtigsten Bezugspersonen, können sie ihm zuletzt schon deshalb nicht einmal mehr in die Augen sehen, weil sie ihm nur noch aus dem Weg gehen.
Die Hilflosigkeit des Arztes bringt die grandiose Darstellerin im boshaften Zerrbild seiner Mimik auf den Punkt und zeigt in wenigen Sekunden unmissverständlich auf, dass er nicht an seiner medizinischen Kompetenz, sondern ebenfalls vor allem an der menschlichen Hürde scheitert.
Diese wird dagegen locker von der unkonventionellen, sich aber über alle Maßen engagierenden Zeitkraft übersprungen, die zuletzt das ganze etablierte Krankenhauspersonal gegen sich aufbringt. Die aufopferungsvolle Pflegerin ist die einzige, die dem todkranken Jungen dank ihrer gemeinsamen Flucht- und Tagtraum-Fantasierereien noch ein paar glückliche Momente schenken und ihn zuletzt auch etwas mit seinem tragischen Schicksal aussöhnen kann.
Erst als Oskar dank Mama Rosas harter aber herzlicher Schule zu begreifen beginnt, dass der Tod weder Strafe oder Schicksal, sondern eine unausweichliche Tatsache ist und auch seine Eltern, sein Arzt sterben werden und selbst die vor keinem Gegner kapitulierende Kämpferin Mama Rosa, ist er bereit, in Frieden zu gehen und sich nur noch vom lieben Gott wecken zu lassen. Mama Rosa gelingt es, dem sterbenden Jungen genau das zu schenken, was er nie haben wird – glückliche und unglückliche Momente in einem langen, wenn auch nur zurechterfundenen Leben. Sie lässt ihn in einen herzzerreißenden Dialog mit dem lieben Gott treten, an den er eigentlich gar nicht glaubt, sich deshalb aber auch am ersten Tag nicht schon „alles vermasseln will“.
Für jeden der zwölf dem Sterbenden noch zur Verfügung stehenden Tage stellt sie ihm jeweils eine Zeitspanne von zehn Jahren zur Verfügung und damit ein Leben mit Höhen und Tiefen und einem Ende, vor dem er sich dank der ihm gewährten Erlösung nicht mehr fürchtet.
Wie Eva-Maria Admiral immer wieder alle Register ihrer schauspielerischen Fähigkeiten zog, beeindruckte und ging zugleich durch Mark und Bein. Die von Eric-Emmanuel Schmitt in seiner Erzählung zur Verfügung gestellten charismatischen Mitpatienten von Oskar bekamen bei dem Ein-Personen-Stück alle ein eigenes Gesicht, eine eigene Stimme und wurden zu unverwechselbaren Charakteren, auch wenn Eva-Maria Admiral zwischen ihren vielen Rollen rast- und ruhelos, aber immer ungemein ausdrucksstark hin- und herwechselte.
Gelungene Akzente setzte eine unaufdringliche, aber doch stimmig die Inszenierung auf karger Bühne begleitende Musik. Bei aller Härte hatte das Stück um „Oskar und die Dame in Rosa“ die Leichtigkeit der zu Beginn und am Ende herumwirbelnden und schnell zerplatzenden Seifenblasen, mit denen es hoffentlich nicht auch deren Vergänglichkeit teilen muss.