Kirchheim. In turbulenten Zeiten wie dieser wird der VfB Stuttgart mehr denn je seinem Vereinsnamen gerecht. Es ist viel Bewegung drin im „Verein für Bewegungsspiele“ - allerdings nicht immer im positiven Sinne. Anders als damals, als Dr. Fritz Walter ein Vierteljahrhundert lang (1944 - 69) unaufgeregt die Geschicke des Vereins lenkte, geben sich heute gestresste Präsidenten und andere Entscheider im Klub in rascher Folge die Türklinke in die Hand.
Zu den rühmlichen Ausnahmen zählt ein gebürtiger Kirchheimer: Oliver Otto (48) ist bereits zwei Jahrzehnte lang ein „Roter“. Erst erfolgreicher Spieler, mit dem VfB an drei deutschen Meistertiteln in der Jugend und als Aktiver beteiligt. Seit 2012 Leiter des Ressorts „Bildung und Erziehung“ mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag. In dieser Funktion kümmert er sich um eine optimale schulische und persönliche Entwicklung der Nachwuchskicker. Allein in diesen neun Jahren hat der Dauerbrenner - sozusagen der Otto-Motor in der Mercedes-Benz-Arena - bei den Profis nicht weniger als 16 Cheftrainer überdauert, von Bruno Labbadia bis Pellegrino Matarazzo.
Zu Ottos Klientel im vereinseigenen Nachwuchsleistungszentrum zählen 170 Jungs, aufgeteilt in neun Altersklassen von der U11 bis zur U21. Alle mehr oder weniger mit dem ehrgeizigen Ziel, Bundesligaprofi zu werden. Der Traum geht freilich nur für einen verschwindend kleinen Teil in Erfüllung. Höchstens zwei, drei Spieler pro Jahrgang schaffen den Sprung in die Eliteliga. Der große Rest kann später aber mit Fug und Recht behaupten, seine Zeit beim VfB habe ihn als Mensch weiter gebracht.
Otto ist Athletiktrainer der U11 und U12, aber seine hauptsächliche Tätigkeit ist die abseits des Platzes. Hinter den Kulissen organisiert er das Wechselspiel zwischen Fußball und Schulbank. Was die jungen Kicker durch Auswahl-Lehrgänge oder Junioren-Länderspiele versäumen, wird in den Elite-Partnerschulen oder mittels eines bezahlten Lehrerpools im Verein nachgeholt. Zur perfekten Ausbildung gehört auch der Bereich „Leben“. Otto: „Die meisten Spieler verbringen mehr Zeit bei uns als in ihren Familien. Also bieten wir einiges an.“ Dazu gehört eine praxisnahe Berufsorientierung. Die jungen Spieler sollen auch andere Talente für einen Plan B entdecken, wenn es mit dem Traumberuf Fußballprofi nicht klappt. Auf dem Programm in Verbindung mit der Handwerkskammer standen schon Computer-Schulungen, Freizeiten mit Behinderten, Kochkurse oder Museumsbesuche. Dabei werden den Jungs auch Werte wie Teamgeist oder Respekt vermittelt. Es gilt ein Verhaltenskodex. So sind etwa Handys beim Mittagessen tabu. Grüßen ist obligatorisch.
Über all diesen Richtlinien stehen die schulischen und fußballerischen Leistungen. „Neun von zehn schaffen das Abitur oder Fachabitur“ sagt Otto nicht ohne Stolz und verweist auf das Positiv-Beispiel von NationalspielerTimo Werner (jetzt FC Chelsea): „Er ist der Beweis, dass man beides schaffen kann.“Klaus Schlütter