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„Alle wollen Biontech und keiner Astra“

Corona Auch Fachärzte dürfen seit vergangener Woche gegen Covid impfen. Hausärzte klagen über Patienten, die sich ihren Impfstoff aussuchen wollen. Von Antje Dörr

Für viele über 60-Jährige kommt nur ein Impfstoff infrage - sehr zum Leidwesen der Ärzte.
Für viele über 60-Jährige kommt nur ein Impfstoff infrage - sehr zum Leidwesen der Ärzte.

Nicht nur die Zahl der Impfberechtigten wird immer größer. Auch die Zahl der impfberechtigten Ärzte nimmt weiter zu. Seit vergangener Woche dürften Facharztpraxen Patienten gegen Covid-19 impfen. Theoretisch. Praktisch bleiben impfende Fachärzte bisher die Ausnahme. „Abgesehen von der Pädiatrie, die in Kürze damit beginnen wird, hauptsächlich Eltern von chronisch kranken Kindern gegen Covid-19 zu impfen, ist das bisher nicht vorgesehen“, sagt Dr. Clemens Christ, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie. Christ ist außerdem Geschäftsführer des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Kirchheim, in dem viele Fachärzte unter einem Dach arbeiten. Von den Patienten kämen bisher keine Nachfragen nach Impfungen, da in der Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Neurologie, Psychiatrie und Dermatologie auch sonst nicht geimpft werde. „Die Bevölkerung wird über die Hausärzte und die Impfzentren mit den derzeit vorhandenen Impfdosen bestmöglich versorgt“, sagt Christ. „Sollten wir bei einem Überangebot an Dosen die Impfrate beschleunigen können, würden wir uns natürlich auch beteiligen“.

Von einem Überangebot kann bisher allerdings nicht die Rede sein, insbesondere nicht beim begehrten Impfstoff von Biontech und Pfizer. „Von Astrazeneca könnten wir mehr bestellen, aber da ist die Akzeptanz nicht sehr hoch“, sagt Dr. Angela Schweizer vom Hausärztehaus, einer Gemeinschaftspraxis in Kirchheim. Das Diskutieren über Impfstoffe mit über 60-Jährigen, die theoretisch mit Astrazeneca geimpft werden könnten, empfindet die Medizinerin als zermürbend. „Alle wollen Biontech und keiner Astra“, sagt sie. „Es geht nicht, dass die Älteren den Jüngeren den Impfstoff wegnehmen.“

Im Hausärztehaus in Kirchheim werden derzeit rund 300 Patienten pro Woche geimpft. Mehr wäre theoretisch möglich, doch nach 14 Monaten Pandemie stoßen Teile des Personals an ihre Grenzen. „Wir können ja nicht nur impfen, sondern müssen auch noch unsere anderen Patienten versorgen“, sagt Angela Schweizer. Um das Personal zu entlasten, helfen im Hausärztehaus aktuell zwei Medizinstudentinnen beim Impfen, das immer an zwei Vormittagen stattfindet. Pro Stunde erhalten 20 bis 25 Patienten die schützende Spritze. Das Online-System, das die Praxis angeschafft hat, um die Telefone zu entlasten, erfüllt seinen Zweck. „Die Hälfte der Termine vergeben wir online, und die andere Hälfte am Telefon oder aus der Sprechstunde heraus“, sagt Schweizer. „Wenn beispielsweise eine ältere Dame kommt, die nicht so gut Deutsch kann, bekommt sie für den nächsten Tag gleich einen Termin. Dafür halten wir immer was frei.“

Was nach wie vor fehlt, ist Planbarkeit, die über eine Woche hinausgeht. Das liegt daran, dass jede Woche neu bestellt werden muss. Ebenfalls nicht möglich ist die Planung größerer Impfaktionen, ein „Impfsamstag“ beispielsweise, wie Angela Schweizer es nennt. Denn das Vakzin von Biontech und Pfizer ist im Kühlschrank nur fünf Tage haltbar, und abhängig vom Lieferdatum, das die Praxis nicht beeinflussen kann, wären Teile am Samstag bereits verfallen. Immerhin werden laut Schweizer mittlerweile annähernd die Mengen geliefert, die die Praxis ordert. „Es ist nicht so, dass wir 300 bestellen und nur 100 bekommen“, sagt die Ärztin. Die Lücke zwischen angeforderten und gelieferten Dosen, die laut Schweizer meist im niedrigen zweistelligen Bereich liegt, kalkuliert die Praxis von vornherein ein - sprich: Es werden weniger Patienten einbestellt, um zu verhindern, dass die Helferinnen Patienten absagen müssen. „Was am Ende übrig ist, verimpfen wir direkt in der Sprechstunde“, sagt Angela Schweizer.

So impft der Landkreis Esslingen

119 303 Dosen sind im Landkreis Esslingen bisher in Kreisimpfzentren, von mobilen Impfteams und von Hausärzten verabreicht worden. Das meldet der Kreis für die vergangene Kalenderwoche. Davon entfallen 62 318 auf die Kreis- impfzentren, 14 549 auf mobile Impfteams und 8675 auf Vor-Ort-Aktionen.

In Vertragsarztpraxen wurden im Landkreis Esslingen bis zum Mittwoch insgesamt 41 067 Impfungen verabreicht. 39 383 Patienten haben die erste Spritze erhalten, 1684 Patienten sind bereits vollständig immunisiert. Die Hausarztpraxen impfen seit etwas mehr als einem Monat gegen Covid-19. Am 5. Mai wurden in den Vertragsarztpraxen 4157 Patienten in 257 Praxen geimpft. Zum Vergleich: In den beiden Kreisimpfzentren werden derzeit je 800 Menschen am Tag behandelt.adö