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Ausgleich mit Blühflächen schaffen

Interview Das geplante Gewerbegebiet Hungerberg in Dettingen spaltet. Professor Christian Küpfer von der HfWU zeigt auf, wo die Probleme und Chancen liegen. Von Sylvia Gierlichs

Die Bodenqualität auf dem Hungerberg ist laut Christian Küpfer gut.Foto: Carsten Riedl
Die Bodenqualität auf dem Hungerberg ist laut Christian Küpfer gut.Foto: Carsten Riedl

Dr. Christian Küpfer ist Professor für Landschaftsplanung an der Hochschule Nürtingen. Im Interview zum geplanten Gewerbestandort Hungerberg in Dettingen weist er auf die Bedeutung von Kaltluftschneisen, Ökopunkten und die Kompensationsmöglichkeiten bei Eingriffen in die Natur hin.

Herr Küpfer, der Hungerberg ist umstritten. Sie haben die Fläche untersucht. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Dr. Christian Küpfer: Das Ergebnis ist vielschichtig. Zum einen handelt es sich beim Hungerberg um eine Fläche mit teilweise guten Böden, die für die Landwirtschaft interessant ist. Bedingt durch die landwirtschaftliche Nutzung ist andererseits die Biotopqualität im Planungsgebiet eher nachrangig. Die landwirtschaftlichen Flächen sind aber dennoch Lebensraum für einige Feldlerchenpaare, denen im Falle einer Bebauung an anderer Stelle im Umland neuer, attraktiver Lebensraum angeboten werden müsste.

Gibt es noch weitere Ergebnisse?

Küpfer: Das Schutzgut Klima/Luft im Voralbgebiet ist von großer Bedeutung, weil Kaltluftströme über das Lenninger Tal Dettingen und Kirchheim mit kühler Luft versorgen. Der Rücken des Hungerbergs spielt für den Lufttransport eine geringere Rolle als die angrenzenden Talzüge und die Flanken. Letztere sollten von einer Bebauung freigehalten werden. Wenn auf dem Hungerberg Gebäude stünden, würde sich das Landschaftsbild verändern. Auch die Wassersituation wäre zu berücksichtigen, wobei die Rückhaltung des Oberflächenwassers eine größere Rolle spielt als das Grundwasser. Starkregenereignisse dürften sich nicht so auswirken, dass ein Wasserabfluss vom Hungerberg zu Problemen unterhalb des Gebietes führt - im Gegenteil: Das Wasser müsste im Planungsgebiet und dessen Rand zurückgehalten werden. Hier würde ich im Falle einer Bebauung auf Synergien mit der Bewässerung der Grünstrukturen drängen. Auch eine leistungsfähige, hinsichtlich der Regenwasserretention hocheffiziente Dachbegrünung müsste eine wichtige Rolle spielen.

Ein großer Teil der 21,5 Hektar dient derzeit als Baustellenfläche für den Albvorlandtunnel und die ICE-Trasse, ist also tote Fläche. Ist dies ein Argument für die Bebauung?

In gewisser Weise ja. Wenn man diese Situation mit klassischer landwirtschaftlicher Nutzung vergleicht, schneidet der Hungerberg natürlich schlechter ab. Etwa die Hälfte der 21,6 Hektar ist aktuell Baustelle oder Erdlager. Allerdings darf man nicht vergessen, dass im Falle einer Nichtbebauung die Böden rekultiviert werden. Es dauert zwar einige Jahre, bis die Ursprungsböden ihre vormalige Leistungsfähigkeit wieder annähernd erreicht haben, aber die Rekultivierung der Baustelle ist ja eine Pflichtaufgabe der Bahn.

Wie beurteilen Sie die überwiegend landwirtschaftlich genutzte Fläche des Hungerbergs?

Diese ist zumindest auf Teilflächen von etwa 50 Prozent gut und gehört zu den besseren Böden der Gemeinde. Auf einer Skala von 1 (gering) bis 4 (sehr hoch) würde ich sie auf Stufe 3 setzen. Die anderen 50 Prozent fallen in Stufe 2. Das stellt unzweifelhaft einen Konflikt dar, der Verlust träfe insbesondere die Landwirtschaft.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Eingriffe in die Natur am Hungerberg zu kompensieren?

Eine Kompensation im Sinne des Naturschutzrechts ist immer möglich, beispielsweise durch den Zukauf von Ökopunkten von außerhalb. Das halte ich aber nicht für zielführend und das wird meines Wissens von der Projektgemeinschaft, also der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart und der Verwaltungsgemeinschaft Kirchheim-Dettingen-Notzingen, auch nicht in Erwägung gezogen.

Was kommt dann in Frage?

Der gerade fertiggestellte Landschaftsplan für die drei Kommunen der Verwaltungsgemeinschaft zeigt eine Vielzahl lokaler Möglichkeiten für eine ökologische Aufwertung der Landschaft auf, die in Kooperation mit der Landwirtschaft und dem örtlichen ehrenamtlichen Naturschutz erfolgen können. Hierzu zählen beispielsweise die Anlage von Blühflächen zur Stützung der Insektenfauna, was nebenbei bemerkt auch der Feldlerche und anderen Tierarten zugute käme. Die Landwirte würden dort im wahrsten Sinn des Wortes Natur produzieren, ohne ihre Äcker aufgeben zu müssen. Weitere Möglichkeiten wären die Instandsetzung ehemals hochwertiger Streuobstbestände durch Pflegemaßnahmen, Maßnahmen im feuchten Grünland zur Verbesserung der Wasserrückhaltung, Gewässerrenaturierungen sowie den Auftrag von Oberboden auf wenig leistungsfähige Ackerböden.

Die Kaltluftschneise spielt in der Diskussion um den Hungerberg eine große Rolle. Was muss passieren, um den Luftstrom von der Alb möglichst ungehindert nach Kirchheim passieren zu lassen?

Die Rahmenbedingungen sind im speziell hierfür angefertigten Klimagutachten dargelegt. Wichtig sind insbesondere die angrenzenden Talzüge des Jauchertbaches und des Gießnaubaches. Diese müssten in jedem Fall offengelassen werden, auch bräuchte es Mindestabstände der Gebäude zu den sensiblen Strukturen. Es handelt sich um städtebauliche Fragestellungen, die im Zuge eines Bebauungsplanes zu lösen wären.

Unabhängig vom Hungerberg: Dichte Bebauung in den Städten führt ja ebenfalls zu einer Aufheizung des Stadtklimas. Welche Möglichkeiten gibt es, trotz Innenverdichtung ein besseres Klima zu schaffen?

Hier muss sich eine radikal andere Haltung ergeben: Wir sollten dafür sorgen, dass so viel Niederschlagswasser wie möglich an Ort und Stelle bleibt, um ausreichend Wasser zur Versorgung unserer Kulturpflanzen und der an Trockenheit leidenden Wälder zu haben, aber auch um Siedlungsflächen mit Vegetation zu kühlen. Hierfür hat sich der Begriff der „Schwammstadt“ etabliert.