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Bewusst Bier aus Brot genießen

Nachhaltigkeit In Gruibingen wurde ein neues Brauverfahren entwickelt, das alte Backwaren als Rohstoff nutzt.

Hans-Dieter Hilsenbeck und sein Sohn Christoph sind stolz auf ihr Bier aus Brot.Foto: Giacinto Carlucci
Hans-Dieter Hilsenbeck und sein Sohn Christoph sind stolz auf ihr Bier aus Brot.Foto: Giacinto Carlucci

Gruibingen. „Heute back’ ich, morgen brau’ ich“, zitiert Braumeister Hans-Dieter Hilsenbeck aus Grui­bingen zum Start seiner neuesten Bierkreation aus einem Märchenklassiker. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Braumeister aus Gruibingen plant keine royale Entführung, im Gegenteil: Mit dem „Brotbier“, das die Gruibinger Lamm-Brauerei nun auf den Markt bringt, hat er das Wohl der nachfolgenden Generationen im Blick.

„Nachhaltigkeit“ ist ihm und seinem Sohn, Braumeister Chris­toph Hilsenbeck, wichtig. Deshalb bringt die beiden heimischen Brauer auch die Tatsache auf die Palme, dass Millionen Backwaren in Deutschland weggeworfen werden. Laut dem Nachrichtenmagazin Spiegel waren es vor drei Jahren 1,7 Millionen.

„Und dabei geht es nicht um das Weckle, das am Frühstücks­tisch übrig bleibt“, sagt Hilsenbeck. Ein Fünftel der Produktion deutscher Bäcker landet laut Statis­tik im Müll. „Weil bis Geschäftsschluss manche Verbraucher ein volles Regal mit kompletter Auswahl erwarten“, nennt Hans-Die­ter Hilsenbeck eine Ursache dieses Ärgernisses. Nun kann man ob dieser Verschwendung toben wie ein Rumpelstilzchen - oder handeln. In intensiver Tüftelei haben die beiden ein Verfahren entwickelt, um aus Altbrot Bier zu brauen. Konkret: Wie sich Stärke in Malzzucker umwandeln lässt, um dann vergären zu können. Die innovativen Ideen des Juniors trafen auf das traditionelle Wissen des erfahrenen Braumeisters. Derzeit läuft das Anerkennungsverfahren für eine Patentierung.

Blieb noch die ­Namensfrage. Denn „Bier“ ist in Deutschland gemäß dem Reinheitsgebot spätes­tens seit 1516 klar definiert: Wasser, Malz, Hopfen, Hefe. Sonst nichts. Von Brot war nicht die Rede. Doch die Bierverordnung sieht eine Ausnahmegenehmigung für „beson­dere Biere“ vor. Und diese hat Hilsenbeck vom Regierungspräsidium (RP) erhalten. Unterstützt worden seien sie auch vom Präsidenten und Geschäftsführer des Brauereiverbandes, die das Projekt sehr interessant gefunden hätten, so Hilsenbeck.

Überzeugt habe das RP auch der hohe Brotanteil, der den Nachhaltigkeitsaspekt bestätige: „Er beträgt mindestens 30 Prozent.“ Hilsenbeck betont, dass es sich um keinen Marketinggag handle, sondern um eine echte Verwertungsbemühung des Altbrots.

Gleichbleibender Geschmack

Das Brot bezieht die Gruibinger Brauerei von der Gosbacher Bäckerei Kalik. Aus Hygienegründen könnte kein Brot von Privatpersonen angeliefert werden. Nun bleibt in einer Bäckerei ja nicht immer derselbe Anteil an bestimmten Wecken oder Broten übrig. Schmeckt man am Bier dann also, was in der Bäckerei gerade übrig geblieben war? „Nein, wir haben ein Verfahren entwickelt, das gleichbleibenden Geschmack gewährleistet“, erklären Vater und Sohn. Lediglich die Farbe könne leicht variieren. Dieses Geschmackserlebnis, die „Drink­ability“, war zentrales Ziel der Entwicklung. Das Bier solle schließlich schmecken, damit das Brot auch langfristig und zunehmend vor der Entsorgung bewahrt werden kann.

Bei der Verkostung wird klar, dass dies gelungen ist. Eine durch die Malzmischung bedingte vollgelbe Farbe, schöner, cremiger Schaum, fruchtige Note, weich, rund mit eigenem Charakter. Süffig, hat Volumen, ist nicht flach, „es läuft“, würde der geneigte Bierkenner sagen.

In einer ersten Charge werden nun die ersten hundert Liter­flaschen im Brauereilädle in Grui­bingen verkauft. Demnächst wird dann die Produktion auf der großen Anlage anlaufen. Hilsenbeck hatte den Verkaufsstart vom Herbst auf den Sommer vorgezogen, da eine fränkische Gasthausbrauerei mit einem namensgleichen Produkt auf den Markt gegangen war. Schnell sein lohnt sich also.Axel Raisch