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„Blühstreifen sind Ablenkung“

Hungerberg Der Ornithologe Wulf Gatter äußert sich über die Bedeutung des Dettinger Gebiets für die heimische Vogelwelt. Er befürchtet einen großen Rückgang von Feldlerchen und anderen Arten. Von Iris Häfner

Noch können die Landwirte auf dem Dettinger Hungerberg ihre Felder bestellen.  Foto: Carsten Riedl
Noch können die Landwirte auf dem Dettinger Hungerberg ihre Felder bestellen. Foto: Carsten Riedl

Der Mann für Ausgleichsmaßnahmen, der das Unmögliche möglich macht und alles hinbügelt“ - dieses Urteil fällt Dr. Wulf Gatter über Dr. Christian Küpfer. Letzterer ist Professor für Landschaftsplanung an der Hochschule Nürtingen und äußerte sich in einem Interview zum geplanten Gewerbegebiet Hungerberg in Dettingen, das im Teckboten zu lesen war. Die Aussagen will Wulf Gatter so nicht stehen lassen. Der überzeugte Umweltschützer leitete lange Jahre als Förster das Ökologische Lehrrevier in Lenningen und ist Ornithologe, der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Das Gespräch fand auf der Forschungsstation Randecker Maar statt, wo er mit Mitstreitern seit über 50 Jahren den Vogel- und Insektenzug dokumentiert.

„Herr Küpfer propagiert eine ökologische Aufwertung der Landschaft durch Blühstreifen zur Stützung der Insektenfauna. Blühstreifen sind ein beliebtes Argument zur Ablenkung von den eigentlichen Problemen. Das haben die Naturschützer schon längst durchschaut. Solche Flächen spielen in einem Schmetterlingleben vielfach eine kleine Nebenrolle“, erklärt Wulf Gatter. Die Ansprüche der Arten zur Eiablage, zur Raupen- und Verpuppungszeit würden von offizieller Seite jedoch gerne unterschlagen, obwohl sie den größten Teil des Insektenlebens ausmachten.

Ein weiteres Ablenkungsmanöver ist aus seiner Sicht das Hochjubeln von „hocheffizienter Dachbegrünung“, die künftig eine wichtige Rolle spielen soll. „Das ist Augenwischerei und zu vernachlässigen“, wird er deutlich.

„Was hier zur raschen Bebauung bereitgestellt werden soll, entspricht vom Umfang Kirchheims Innenstadt. Bislang ist es ein Naherholungsgebiet nicht nur für die Dettinger, sondern auch für die Bürger in Nabern und des östlichen Kirchheims“, erklärt er. Die Gemeinde Dettingen habe in Verbindung mit Kirchheim ihre Chance zu einem industriellen Großstandort gesehen. „Der Gutachter hat sich Mühe gegeben, Argumente zu liefern, wie man die Bevölkerung beruhigen kann. Die Deutsche Bahn hat es vorgemacht, wie man Naturschutzvereine zu beruhigen versucht, indem man als Ausgleichsmaßnahme für abgeholzte Wäldchen Nistkästen anbietet, die eine Lebensdauer von zehn Jahren haben“, kritisiert Wulf Gatter. Er vermisst bei Christian Küpfer den Blick auf das große Ganze. An erster Stelle solle die Betrachtung biologisch-ökologischer Zusammenhänge stehen.

Beim Thema Feldlerche widerspricht der Ornithologe Gatter dem Landschaftsplaner Küpfer in aller Deutlichkeit. „Feldlerchen benötigen große Abstände, denn Gehölz-Ränder, Gebäude - ja, selbst Strommasten - verhindern ihre Ansiedlung, da dort Feinde wie beispielsweise Krähen lauern, um ihre Nester zu entdecken und zu plündern, sobald die Jungen gefüttert werden“, führt er aus. Die begnadeten Singvögel halten deshalb einen rund 200 Meter großen Abstand zu allen höheren Strukturen. Auf den Ackerfluren auf dem Hungerberg kartierten Gerhard Braun und weitere Ornithologen während der Planung zur ICE-Trasse auf dem rund zweieinhalb Quadratkilometer großen Gelände vor zehn Jahren noch 90 Feldlerchenpaare. „Seither müssen wir einen Wahnsinns-Rückgang verzeichnen“, bedauert Wulf Gatter. Die nicht mehr besiedelbare Fläche würde den überwiegenden Teil der Dettinger Vorkommen betreffen. Was am Hungerberg bei einer Ansiedlung passieren wird, konnte er am Kirchheimer Milcherberg beobachten. Vor 60 Jahren gab es dort etwa zehn Feldlerchenpaare, heute mit verwirklichter Wohnbebauung kein einziges mehr.

Der Hungerberg sei zudem das wichtigste Rastgebiet der Feldlerchen nach späten Schneefällen von Februar bis April. Bis zu 4000 Vögel seien in diesem Zeitraum schon gesichtet worden. „Der Hungerberg und seine Randzonen sind ein traditioneller Rast- und Ausweichstandort von Hohltauben der Albrand- und Hochflächenwälder. Die Frühjahrsansammlungen dieser seltenen und gefährdeten Wildtaube mit bis zu 180 Vögeln stehen in Baden-Württemberg isoliert da“, erklärt der Fachmann. Wie bei der Feldlerche sei die Ursache in dem milden Klima der Kirchheimer Bucht zu suchen, wie der Meteorologe Rudolf Nestle publizierte.

Auch für die Schafstelze, die durch ihre intensive gelbe Farbe besticht, sieht es nicht viel besser aus. Bislang leben etwa 50 Prozent der Brutpaare im Kreis Esslingen auf Dettinger Markung. „Das bekannte Vorkommen würde ebenso erlöschen, wie die jüngere Neuansiedlung von zwei Grauammerpaaren“, ist der Ornithologe überzeugt.

Er unterstützt die Landwirte in ihrem Bemühen, die Flächen zu erhalten: „Wenn wir Kirchheim und seinen Radius betrachten, ist die diskutierte Fläche die einzige nennenswerte Agrarfläche, die noch nicht durch Bebauung bereits zersiedelt ist, wie ein Blick auf den Markungsbereich und seine Umgebung zeigt. Für den Aufruf von Siegfried Nägele zum Erhalt dieses großen Agrarraums war es höchste Zeit.“

Das Urteil von Wulf Gatter über die Pläne, welche Möglichkeiten es gibt, die Eingriffe in die Natur am Hungerberg kompensieren zu können - Blühstreifen, Streuobstwiesenpflege, Gewässerrenaturierung -, fällt ernüchternd aus: „Insgesamt bleibt ein wenig konsequenter und durchdachter Planungswirrwarr.“