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Brand wirft viele Fragen auf

Unglück Die Ermittlungen an den Brandhäusern in Nürtingen sind abgeschlossen, und die Ergebnisse werden ausgewertet. Die Frage nach der Ursache ist nicht die einzige, die noch immer offen ist. Von Matthäus Klemke

Zwei Menschen sind vor wenigen Tagen bei einem Brand in einem heruntergewirtschafteten Wohnhaus in der Nürtinger Innenstadt ums Leben gekommen. Einen Tag später brannte auch das Nachbarhaus in der Schafstraße.

Die Kriminalbeamten haben ihre Untersuchungen abgeschlossen und sind abgerückt. Ein paar Kerzen hinter dem Bauzaun erinnern an die beiden Menschen, die hier bei dem ersten Feuer in der Schafstraße ums Leben gekommen sind.

Drinnen in dem Haus gleich nebenan, das nur einen Tag später plötzlich in Flammen stand, ist es stockdunkel. Erst im Blitzlicht der Kamera lässt sich erahnen, wie das Feuer hier gewütet haben muss: Die Wände und Decken sind schwarz, Stromleitungen hängen von der Wand herunter, verbrannte Möbel und anderes Gerümpel stapelt sich in einer Ecke.

Warum es in den beiden Häusern brannte, ist immer noch nicht geklärt. Laut Polizeisprecher Martin Schaal sind die Ermittlungen vor Ort abgeschlossen. Nun wird das Material ausgewertet.

Nach zahlreichen Hinweisen von Bewohnern und Sozialarbeitern sollen beide Häuser in einem schlechten Zustand gewesen sein. Außerdem sollen in beiden Unterkünften zu viele Menschen gelebt haben. Zum Zeitpunkt des Brandes befanden sich in beiden Häusern angeblich jeweils bis zu 20 Leute. Von der Stadt wurden insgesamt 31 Personen vorübergehend in Obdachlosenunterkünften untergebracht. Die Überbelegung scheint seit Jahren ein offenes Geheimnis in Nürtingen zu sein.

Nun stellt sich die Frage, ob die Tragödie hätte verhindert werden können? Das fragt sich auch die Witwe des 53-Jährigen, der in den Flammen umgekommen ist. Sie und zwei andere Bewohner haben einen Anwalt eingeschaltet. Ihre Interessen werden von Manuel Schwarz vertreten: „Zum einen waren in der gesamten Unterkunft keine Rauchmelder angebracht. Und zum anderen war das Haus überbelegt“, erklärt Manuel Schwarz.

Um möglichst viele Leute unterbringen zu können, seien in manchen Zimmern Wände hochgezogen worden. „So wurden aus einem Zimmer zwei gemacht“, sagt Schwarz. Solch ein improvisierter Raum sei dem zweiten Todesopfer, einem 37-jährigen Mann, zum Verhängnis geworden. „Das Zimmer hatte nicht einmal ein Fenster“, sagt Schwarz.

Seine Mandanten erheben aber auch Vorwürfe gegen die Stadt Nürtingen: „Die Überbelegung in den Häusern war bekannt“, so Schwarz. Auch habe die Stadt nach der Katastrophe nicht ausreichende Maßnahmen ergriffen, um den Leuten zu helfen: „Es gab keine psychologische Betreuung für die Menschen.“

„Tatsächlich gibt es in Baden-Württemberg kein Wohnungsaufsichtsgesetz“, sagt Udo Casper, Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes Esslingen-Göppingen. In Nordrhein-Westfalen, Hamburg oder Berlin regeln Wohnungsaufsichtsgesetze, dass Unterkünfte gewisse Mindeststandards erfüllen. „So ist zum Beispiel geregelt, wie viele Quadratmeter einer Person mindestens zur Verfügung gestellt werden müssen“, erklärt Casper.

Gab es Hinweise auf Mängel? Laut der Pressestelle der Stadt Nürtingen wurde dem Bauverwaltungsamt 2013 mitgeteilt, dass Stromleitungen im Haus nicht fachkundig verlegt worden seien. „Nach Kontaktaufnahme mit dem Eigentümer wurde von diesem eine Mangelbeseitigung bestätigt.“ Ob kontrolliert wurde, dass diese Mängel auch wirklich beseitigt wurden, geht aus der Stellungnahme nicht hervor.

Im Jahr 2019 hat das Bauamt dann einen Hinweis erhalten, dass sich auffallend viele Personen in der Schafstraße 2 aufhalten würden. „Das Bauverwaltungsamt hat daraufhin beim Eigentümer nachgefragt, ob es sich um eine gewerbliche Nutzung als Beherbergungsbetrieb handelt. In dem Fall hätte es sich um eine Nutzungsänderung gehandelt, die einer Genehmigung bedarf. Der Eigentümer erklärte jedoch, es handele sich um ein normales privatrechtliches Mietverhältnis.“

Neben der Belegung wirft auch die Höhe der Miete Fragen auf. Laut Einwohnern habe ein Zimmer bis zu 590 Euro Warm-Miete gekostet. Das Geld soll in vielen Fällen direkt vom Jobcenter geflossen sein. Bewohner teilten mit, dass in den Mietverträgen häufig falsche Angaben zu den Zimmergrößen gemacht worden seien, um den vollen Zuschuss vom Jobcenter zu bekommen.

Wird die Richtigkeit der Angaben in einem Mietvertrag also nicht vom Jobcenter kontrolliert? „Der Abschluss eines Mietvertrages liegt zunächst in der Verantwortung der Bürger“, heißt es von der Pressestelle des Landratsamtes in Esslingen. „Mit der Unterschrift durch Vermieter und Mieter werden unter anderem Mietgegenstand und Mietpreis bestätigt.“

Am Haus in der Schafstraße steht mittlerweile ein Gerüst. Auch das zweite Brandhaus links daneben wird seit dem Feuer nicht mehr
Am Haus in der Schafstraße steht mittlerweile ein Gerüst. Auch das zweite Brandhaus links daneben wird seit dem Feuer nicht mehr bewohnt. Foto: Jürgen Holzwarth

Der Hauseigentümer bezieht Stellung

Laut einem Bewohner der Schafstraße sei relativ einfach zu beweisen, dass die Angaben in den Mietverträgen nicht richtig sind: „Würde man alle angegebenen Quadratmeter in den Verträgen zusammennehmen, müssten die Häuser viermal so groß sein.“ Nun äußerte sich zum ersten Mal der Hauseigentümer zu den Vorwürfen. Seiner Immobilienfirma gehören beide Brandhäuser in der Schafstraße. Für die Weitervermietung sei jedoch jemand anders verantwortlich: „Wir haben die Wohnungen an eine Firma in Heilbronn vermietet“, sagt Firmenchef Stepan, der seinen Vornamen nicht nennen möchte. Dass die Zimmer maßlos überbelegt waren, habe der Eigentümer selbst erst vor Kurzem erfahren. „Natürlich finde ich nicht gut, wie die Wohnungen vermietet wurden, aber man darf mit dem Finger nicht nur in eine Richtung zeigen.“ Wenn eine Einzelperson ein Zimmer mietet, dann aber die ganze Familie mit einzieht, könne man dagegen nicht viel tun. „Die Häuser sind zwar alt, aber die Wohnungen wurden regelmäßig renoviert.“ Alle Arbeiten seien stets auf Fotos festgehalten worden. „Es ist nicht so, dass die Leute in Höhlen gelebt hätten.“ Allerdings seien die Wohnungen von den Mietern nicht gepflegt worden, sagt Stepan. Nun wolle man daraus Konsequenzen ziehen: „Sollte man die Wohnungen renovieren können, werden wir sie nur noch an Studenten vermieten. Aber dann haben solche Leute, wie bisher dort gewohnt haben, gar keine Chance mehr auf eine Unterkunft.“ Die Heilbronner Wohnungsverwaltung hat „kein Interesse“ sich zu äußern. mk