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Corona schlägt Masern

Impfen In der Corona-Pandemie ist der Kampf gegen Masern in den Hintergrund getreten. Das ist nicht ungefährlich, denn auch im Landkreis Esslingen ist die Herdenimmunität nicht erreicht. Von Antje Dörr

Susanne Weis, Kinderärztin im MVZ in Kirchheim, verabreicht einem Jungen den schützenden Pieks. Archiv-Foto: Carsten Riedl
Susanne Weis, Kinderärztin im MVZ in Kirchheim, verabreicht einem Jungen den schützenden Pieks. Archiv-Foto: Carsten Riedl

Zwischen Masern und Corona gibt es viele Parallelen. Beide Virus-Erkrankungen sind hoch ansteckend und können tödlich verlaufen. Weder gegen Masern noch gegen Covid gibt es bisher Medikamente. Schutz bietet nur eine Impfung. Und noch eine Gemeinsamkeit: Weder bei Covid noch bei Masern ist der sogenannte Herdenschutz erreicht, sind also so viele Menschen geimpft, dass das Virus keine Chance mehr hat, sich weiter auszubreiten. Dieser Herdenschutz ist deshalb wichtig, damit Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können - beispielsweise Säuglinge, Schwangere und Menschen mit Immunschwäche - ebenfalls geschützt sind. 

In Entwicklungsländern geht der Kampf gegen Masern ohnehin nur schleppend voran, doch auch in Europa registrierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2018 wieder mehr Ausbrüche und Tote. 82 596 Menschen haben sich in jenem Jahr laut WHO infiziert, 72 Kinder und Erwachsene sind an den Folgen der Masern-Infektion gestorben. Als Reaktion auf die steigenden Zahlen und den fehlenden Herdenschutz hat die Bundesregierung das Masern- schutzgesetz verabschiedet, das seit März 2020 in Kraft ist. Seither müssen Kindergarten- und Schulkinder sowie Kleinkinder, die in einer Kita oder bei Tageseltern betreut werden, gegen Masern geimpft sein. Betroffen sind zunächst nur Kinder, die neu in Schule oder Kita aufgenommen worden sind. Auch das Personal muss immunisiert sein.

Wie sich das Masernschutzgesetz auf die Impfquote bei Kindern auswirkt, ist schwer zu sagen. Die aktuellsten Zahlen für den Landkreis Esslingen stammen aus dem Jahr vor der Verabschiedung des Gesetzes. Erhoben werden sie vom Gesundheitsamt bei den Einschul- ungsuntersuchungen. 2019 waren 95 Prozent der untersuchten Vorschulkinder einmal gegen Masern geimpft, aber nur 90,8 Kinder das entscheidende zweite Mal. Das Ziel, dass 95 Prozent der Kinder einen vollständigen Impfschutz gegen Masern haben, um den Herdenschutz zu gewährleisten, ist im Landkreis Esslingen also bisher nicht erreicht.

Durch die Corona-Pandemie ist dieses Ziel in noch weitere Ferne gerückt. „Eltern haben bewusst auf ,unnötige Arztbesuche’ verzichtet, um kein zusätzliches Risiko einzugehen. Dadurch erfolgten geplante Impfungen erst verspätet“, heißt es beim Gesundheitsamt des Landkreises. Als Folge der Pandemie hat der Bund die Übergangsfrist für Kinder, die vor 2020 bereits eine Schule oder Kita besucht haben, verlängert. Ihre Eltern haben bis Ende 2021 Zeit, den Impfnachweis vorzulegen. Das Gesundheitsamt hält die Verlängerung im Angesicht der aktuellen Situation für vertretbar, weil sie alle Beteiligten entlaste. Aus Gründen des Infektionsschutzes müsse das Gesetz jedoch frühestmöglich umgesetzt werden.

„Das Zusammenspiel von Corona und Maserngesetz war ungüns- tig, weil die betreffenden Stellen sich um anderes kümmern mussten“, sagt auch Dr. Katja Frankenbusch von der Kinderarztpraxis im MVZ in Kirchheim. Laut der Medizinerin entfaltet das Gesetz dennoch jetzt schon Wirkung. „Die Akribie, mit der kontrolliert wird, dass die zweite Impfung auch wirklich stattfindet, hat deutlich zugenommen“, sagt sie. Frankenbusch hält „Recall“-Systeme bei den Krankenkassen für sinnvoll, mit denen Eltern - ähnlich wie bei anstehenden U-Untersuchungen - an die Zweitimpfung erinnert werden. Auch im Rahmen der Vorstellungstermine beim Kinderarzt solle das Impfbuch kontrolliert und Eltern auf fehlende Impfungen angesprochen werden.

Dass die Impfquote im Landkreis Esslingen nicht besser ist, liegt laut Katja Frankenbusch weniger daran, dass Eltern die Impfung grundsätzlich ablehnen, sondern daran, dass die Zweitimpfung schlicht und einfach „verpennt“ wird. „Die Eltern, die zu uns in die Praxis kommen, sind in der großen Mehrheit von der Wirksamkeit von Impfungen überzeugt. Wir hatten bisher keine Kinder, deren Eltern sie von der Impfpflicht befreien lassen wollten“, sagt Frankenbusch. Das sei aus ihrer Sicht ohnehin nur möglich, wenn das Kind eine angeborene Immunschwäche habe oder sich in onkologischer Behandlung befinde.

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