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„Dann bin ich einfach ausgerastet“

Prozess Ein 33-Jähriger muss sich wegen einer Hammerattacke im Jobcenter verantworten.

Nürtingen. In Handschellen be­trat der Angeklagte am Donnerstagmorgen den Verhandlungssaal am Stuttgarter Landgericht. Der Nürtinger hat bereits gestanden, im November vergangenen Jahres in das Jobcenter in der Galgenbergstraße gegangen zu sein und seinen Sachbearbeiter mit einem Hammer angegriffen zu haben. Das Opfer konnte den Schlag abwehren und wurde nur leicht verletzt.

Der Angreifer ließ sich im Jobcenter widerstandslos von der Polizei festnehmen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Laut Staatsanwaltschaft habe das Opfer seit dem Angriff mit psychischen Problem zu kämpfen und befindet sich in therapeutischer Behandlung.

Der Angeklagte machte umfassende Angaben zum Tathergang und zum Motiv - brach dabei immer wieder in Tränen aus. Am Morgen des Angriffs habe er einen Bescheid vom Jobcenter erhalten, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass ihm Sozialleistungen verwehrt werden. „Dann bin ich ausgerastet“, sagte der Langzeitarbeitslose. Sofort habe er den Hammer aus dem Keller geholt und sich zu Fuß auf den Weg zum Jobcenter gemacht.

Zunächst habe er geplant, den Sachbearbeiter auszurauben, allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sich der Sachbearbeiter gerade in einem Beratungsgespräch befindet. „Als ich dann gesehen habe, dass noch eine andere Person in dem Büro sitzt, bin ich einfach auf ihn los“, so der 33-Jährige. Immer wieder hakte die Vorsitzende Richterin Ute Baisch nach, ob er mit dem Hammer auch den Kopf des Opfers hätte treffen können. Schließlich brachte der Angeklagte ein genuscheltes „Ja“ hervor. „Waren Sie sich bewusst, dass er hätte sterben können?“, wollte die Richterin wissen. „Ja, vermutlich“, antwortete der Mann auf der Anklagebank. Er habe keinen anderen Ausweg als den Angriff auf den Mitarbeiter gesehen. „Ich war so verzweifelt. Ich dachte, jetzt versuche ich es mit Gefängnis.“ Wie es ihm dort geht, wollte Baisch wissen. „Gut, ich kann mich nicht beklagen“, sagte der Mann. Nun müsse er keinen Hunger und keine Obdachlosigkeit fürchten.

Der Angriff ist der bisherige Tiefpunkt einer Abwärtsspirale, die sich durch die Biografie des Nürtingers zieht. Bereits während seiner Zeit an einem Gymnasium hatte der Angeklagte mit Alkoholproblemen zu kämpfen, musste aufgrund schlechter Leistungen die Schule verlassen. Auch die Ausbildung zum physikalisch-technischen Assistenten brach er aufgrund schlechter Noten ab. 2007 folgten zwei Aufenthalte in einer psychiatrischen Klinik. Nicht nur der Schuldenberg wurde größer, auch seine Vorstrafen häuften sich, unter anderem vorsätzliche Körperverletzung und Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Bereits 2017 seien ihm Sozialleis­tungen aufgrund fehlender Dokumente verwehrt worden. Die meis­te Zeit lebte er bei seinen Eltern „von der Hand in den Mund“, wie Richterin Baisch feststellte.

In was für einem Zustand sich der Angeklagte zuletzt befand, schilderte eine Mitarbeiterin des Jobcenters. „Das Gespräch war schon ein besonderes Erlebnis“, sagte die Zeugin: „Er sagte, er habe sich vor zehn Jahren aufgegeben.“

Am morgigen Freitag wird die Verhandlung fortgesetzt. Dann soll unter anderem das Opfer gehört werden. Ein Urteil wird am Donnerstag, 12. März, erwartet.mk