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Das geistliche Wort

Am Montag wurde ich im Auto daran erinnert, dass vor 72 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist. Ich hatte das Radio an und hörte es in den Nachrichten. Natürlich kenne ich dieses Datum. Aber ich hatte es vergessen, dass am Montag eben dieser Tag war. Meine Eltern haben ihn seit damals im Bewusstsein, denn sie haben ihn erlebt. Sie haben es hautnah mitbekommen, als es wie ein Lauffeuer durch die kleinen Dörfer ging, in denen sie aufgewachsen sind: Der Krieg ist aus. Der Vater meiner Mutter kam erst zwei Jahre später aus der Gefangenschaft heim. Ihre Konfirmation musste sie ohne ihn feiern mit einer traurigen Mutter, die schrecklich in Sorge war um ihren Mann und darum, wie sie ihre sechs Kinder durchbringen sollte.

Für die Generation meiner Eltern ist der 8. Mai 1945 ein wichtiges Datum, für mich, die ich Gott sei Dank keinen Krieg miterleben musste, ein Tag, der mir „eigentlich schon wichtig ist“, den ich aber genauso auch vergesse, weil er mir eben doch „nicht so wichtig ist“. Ich weiß theoretisch, dass Krieg schlimm ist. Erlebt habe ich ihn nie und habe so auch nie die ganzen Not und Angst gefühlt, die ein Krieg mit sich bringt.

Aber das darf mich nicht vergesslich werden lassen. Ich darf es nicht als selbstverständlich nehmen, dass ich in Frieden lebe. Und erst recht darf ich mich nicht zurücklehnen und es anderen überlassen, für Frieden einzustehen. Frieden beginnt im Kleinen und vor allem bei mir selbst. Diese Weisheit ist fast überstrapaziert, aber das macht sie nicht weniger wahr.

Jesus sagt einmal über Jerusalem: „Wenn doch auch du erkennen würdest, was dem Frieden dient?“ Und „erkennen“ heißt bei ihm immer auch „lieben“ und „entsprechend leben“. Den Frieden lieben, ihn stark machen. Für ihn einstehen. Mich entsprechend verhalten. Sensibel sein für Gewalt in unserer Sprache und in unserem Alltag. Mich der Schwachen und Wehrlosen annehmen und für die, die sich nicht trauen, den Mund aufzumachen, sprechen.

Das wäre sicher auch im Sinn der amerikanischen Publizistin und Frauenrechtlerin Julia Ward Howe, die wie die Erfinderin des Muttertags Ann Jarvis eine entschiedene Kriegsgegnerin war und 1872 in den USA die Einführung eines nationalen Feiertages forderte. Dieser sollte Mother’s Day of Peace heißen - „Muttertag des Friedens“. Eine gute Idee, die leider kein Gehör fand. Wir aber könnten doch die Geschichte des Muttertags weitererzählen und so zwischen dem 8. Mai und dem zweiten Sonntag im Mai eine Brücke bauen, die uns hilft, uns zu erinnern.

Ute Stolz Pfarrerin in Hepsisau und Neidlingen