Manchmal träumt Matthias Daxl noch von Afghanistan. Von den stolzen Menschen, die er getroffen hat, den beeindruckenden Landschaften. Der Esslinger Architekt war zwischen 2010 und 2016 als Mitarbeiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) dort. Was jetzt passiert, hat ihn erschüttert, aber nicht erstaunt. Was ihn richtig ärgert, ist die Haltung der westlichen Staaten, die die Entwicklung angeblich nicht hätten kommen sehen. Matthias Daxl sagt: „Das muss jedem klar gewesen sein, das hat sich doch lange abgezeichnet.“
Kürzlich hat Daxl einen offenen Brief an die Bundesregierung unterzeichnet. Darin wird die Regierung aufgefordert, auch die Helfer und Mitarbeiter der Entwicklungshilfeprojekte aus dem Land zu holen. Jeder der Unterzeichnenden verwendet sich für Personen aus seinem Umfeld. Daxl hat seinen Büroleiter und einen seiner Fahrer auf die Liste der gefährdeten Personen setzen lassen. „Auf diese beiden konnte ich mich während der ganzen Zeit immer verlassen“, sagt er. „Sie waren meine Lebensversicherung.“ Zu seinen ehemaligen Mitarbeitern hat der 51-Jährige immer wieder Kontakt. „Sie sind mit ihren Familien in Kabul. Sie sind sehr verunsichert, haben Angst“, beschreibt er. Einfach anrufen kann er sie von sich aus nicht. „Es könnte gefährlich werden, wenn jemand hört, dass sie Englisch sprechen.“
Ab 2010 hat Daxl in Mazar-i Sharif, Kunduz, Talaquan und Feyzabad mit Kollegen Straßen, Schulen, Bewässerungssysteme und Verwaltungsgebäude errichtet, aber auch viele lokale Mitarbeiter aus- und weitergebildet. Daxl hat in Kunduz, Mazar-i Sharif und auch in Kabul gelebt. Die überwiegende Zeit hat er sich dort wohlgefühlt. Das änderte sich allerdings schlagartig, als die Taliban im November 2016 einen Sprengstoffanschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Mazar-i Sharif verübten. Bei dem Anschlag starben sechs Menschen, mehr als 100 wurden verletzt. „Da habe ich beschlossen, meinen Vertrag nicht mehr zu verlängern“, sagt Daxl.
Dennoch denkt Daxl gern an seine Zeit in Afghanistan zurück. Die Arbeit vor Ort mit lokalen Kräften hat ihm einen tiefen Einblick in ein, wie er sagt, „faszinierendes Land“ ermöglicht. Daxl kann vergleichen, hat er doch längere Zeit in Indien und auch in China verbracht. Beeindruckt hat ihn die „außergewöhnliche Gastfreundschaft“ der Menschen, das hohe Qualitätsbewusstsein, Interesse und Lerneifer, um besser zu werden, die „kultivierte Art“ und der „respektvolle Umgang“ miteinander. „Afghanen sind höflich und wertschätzend, auch auf den Baustellen herrschte kein lauter und grober Ton gegenüber Hilfskräften“, sagt Daxl. Fotos, die er während seiner Aufenthalte gemacht hat, zeigen Menschen mit beeindruckend ausdrucksstarken Gesichtern, lachende junge Mädchen in der Schule, Kinder, die sich über den Fotografen freuen und Landschaften in karger Schönheit.
Auch als Ausländer hat sich Daxl willkommen gefühlt. Und sicher. Sein Guest-House in Kundus hat er auch in Abwesenheit nicht abgeschlossen, gestohlen wurde nie etwas. Trotzdem will Daxl das Land nicht romantisieren. Die weit verbreitete Korruption, der Umgang mit Frauen, die Armut und die allgegenwärtige Präsenz der Taliban - darauf habe man sich einlassen müssen.
„Die Taliban waren immer Teil der Gesellschaft“, sagt Daxl und berichtet von einem Ortsvorsteher, mit dem er während eines Bauprojekts zu tun hatte. Ein Sohn hat für die US-Streitkräfte gearbeitet, der andere war bei den Taliban. Letzterer habe immer zuverlässig Infos über sichere und unsichere Straßen an die Bauleute geliefert. Auf Baustellen mitarbeitende Taliban seien nicht selten gewesen. Nach einer Weile habe man an der Länge der Bärte den sogenannten Gotteskrieger erkannt. „Nicht jeder verdammt die Taliban“, weiß Daxl auch. Manche hätten sich die Taliban zurückgewünscht, denn unter deren Herrschaft habe es keine Korruption gegeben.
Rund 500 Männer und Frauen haben er und sein Team ausgebildet. „Was wird aus diesem Land, wenn alle gut ausgebildeten Menschen weg möchten“, fragt er sich. Vom sogenannten „Nation Building“ durch den Westen hat er nie viel gehalten. Seine Mitarbeiter vor Ort, die Gebildeten, seien alle westlich orientiert.