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Der Missstand wird akzeptiert

Professor Dr. Arne Petermann ist Professor an der Berufsakademie für Gesundheits- und Sozialwesen Saarland und Gründer von Linara Faircare, dem deutschlandweit führenden Anbieter häuslicher Pflegkräfte, der Personal auch im Kreis Esslingen vermittelt und Agenturen berät. Der Teckbote wollte von ihm wissen, was schiefläuft in der Pflege.

Herr Petermann, welche Fehler hat die Politik beim Thema Pflege in der Vergangenheit begangen?

Die Politik hat den Wunsch der meisten Menschen, zu Hause alt zu werden, ignoriert, indem sie durch die Pflegegesetzgebung keine ausreichenden Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen hat, um zeitintensive, aber pflegerisch niederschwellige Angebote in großer Zahl zu schaffen. Diese Lücke wurde durch Betreuungskräfte aus Polen und anderen Ländern geschlossen, die aber wegen der fehlenden Finanzierung und Qualitätsregulierung im Sozialgesetzbuch zu 90 Prozent schwarzarbeiten. Jeder Pflegepolitiker weiß das, und die meisten akzeptieren bis heute diesen unhaltbaren Zustand.

Was sind also die drängendsten Aufgaben einer neuen Bundesregierung bei diesem Thema?

Die neue Regierung sollte den Vorschlag von Herrn Spahn umsetzen und 40 Prozent der Sachleistungen für im Haushalt lebende Betreuungskräfte fördern. Sie sollte sich zudem am österreichischen Hausbetreuungsgesetz orientieren, das die häusliche Betreuung rechtsicher löst, sowohl für Arbeitnehmer als auch für arbeitnehmerähnliche Selbstständige mit Sozialversicherungsschutz. Die Übernahme vergleichbarer Regelungen würde 95 Prozent der aktuellen Probleme lösen und wie in Österreich zu einem Austrocknen des Schwarzmarktes führen.

Ist Pflege in Deutschland ehrlicherweise ohne Billigkräfte aus dem Ausland dauerhaft bezahlbar?

Nein. Wenn wir darauf verzichten wollen, dann müsste der Beitrag zur Pflegeversicherung - der eh steigen wird - massiv erhöht werden. Dies würde über die Lohnnebenkosten den Wirtschaftsstandort gefährden und zu zusätzlichen Belastungen für die Gesellschaft führen. Wir brauchen eine ehrliche Debatte darüber, ob wir ein Europa mit offenen Grenzen wollen und damit die Freiheit der Menschen in der EU bejahen, für ihre Lebensverhältnisse in den Heimatländern sehr gutes Geld in der häuslichen Betreuung in Deutschland zu verdienen. Das hat mit Billigkräften nichts zu tun - außer man wollte die östlichen EU-Bürger vom Arbeitsmarkt und relativen Wohlstand in Deutschland ausgrenzen und faktisch die Mauer wieder hochziehen. Bernd Köble