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„Der Wald wurde regelrecht gestürmt“

Konflikt Immer mehr Menschen drängen in ihrer Freizeit in den Wald. Das führt zu Reibereien zwischen den verschiedenen Gruppen – ein Problem, das die Leiter des Kreisforstamts nur zu gut kennen. Von Bianca Lütz-Holoch

Wanderer und Spaziergänger ärgern sich über rücksichtslose Mountainbiker - die wiederum fühlen sich eingeschränkt und zu Unrecht verurteilt: Immer häufiger kommt es zu Konflikten im Wald. Der Teckbote hat mit Cordula Samuleit, Leiterin des Esslinger Kreisforstamts, und ihrem Stellvertreter Dr. Johannes Fischbach über das veränderte Freizeitverhalten und seine Auswirkungen gesprochen.

Stress statt Idylle im Wald: Warum kommen die Waldbesucher nicht mehr miteinander klar?

Cordula Samuleit: Auslöser für das, was wir gerade erleben, ist der Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie gewesen. Von jetzt auf nachher sind viele Aktivitäten weggefallen. Der Wald vor der Haustüre dagegen hat nie geschlossen. Ihn haben etliche Menschen entdeckt, was eigentlich schön ist. Leider wurde der Wald regelrecht gestürmt und erobert. Die Forstliche Versuchsanstalt hat in einer Studie festgestellt, dass sich in Corona-Zeiten die wöchentlichen Besuche der Menschen in Wald verdoppelt haben. Über die Hälfte derjenigen, die gefragt wurden, halten sich jetzt außerdem länger im Wald auf und dringen tiefer in ihn ein.

Und das sorgt für Schwierigkeiten.

Samuleit: Was die Menschen am meisten im Wald stört - das hat ebenfalls die Studie  ergeben - sind andere Waldbesucher. Diese Tendenz war schon vorher da, Corona hat sie aber wie ein Brennglas verstärkt. Der Ton untereinander ist richtig rau geworden. Die Leute giften sich an, stehen unter Stress, sind genervt und fühlen sich bedrängt.

Zu Recht?

Samuleit: Wir sind hier in einem der bevölkerungsreichsten Landkreise und haben tatsächlich ein Problem mit der Masse an Menschen.

Johannes Fischbach: Um das mal mit Zahlen zu belegen: Der Kreis Esslingen hat rund 530 000 Einwohner und circa 18 600 Hektar Wald. Da kommen auf die Fläche eines größeren Fußballfelds etwa 26 Personen. Das entspricht zwei Fußballmannschaften plus Schiedsrichter plus Trainer - auch wenn natürlich nie alle gleichzeitig da sind.

Wo liegen denn die Hauptkonfliktpunkte?

Samuleit: Es gibt wahnsinnig viele Interessen im Wald -  dort ist es ja auch schön. Die einen fahren Fahrrad, andere gehen joggen oder geocachen, wandern oder spazieren. Die einen sind mit Kindern unterwegs, andere treiben Sport. Diese verschiedenen Sport- und Freizeitarten beißen sich teilweise. Da wird es manchmal richtig eng.

Was bedeutet das für die eigentlichen Bewohner des Waldes?

Samuleit: Fuchs und Has sagen sich im Wald nicht mehr gute Nacht. Sie haben keinen Platz mehr dazu. Der Wald ist das Wohn- und Schlafzimmer der Tiere, Vorratsstube, Garten und Kinderzimmer. Die wenigsten von uns wären glücklich, unkalkulierbaren Besuch im Schlafzimmer zu bekommen. Wenn man sich das vor Augen führt, kann man verstehen, warum sich manche Menschen schützend vor die Tiere stellen.

Welche Rolle spielen denn die Mountainbiker als Unruhestifter im Wald?

Fischbach: Ein einzelner Mountainbiker ist sicher kein Problem, aber die Menge macht es. Mittlerweile sind die Radfahrer zu jeder Tages- und Jahreszeit im Wald unterwegs, im Winter bei Schnee und nachts mit Halogenscheinwerfern.

Samuleit: Das Problem ist: Der Fahrrad-Trend ist nicht nur gewachsen, sondern explodiert. Dabei ist ein Großteil des Zuwachses den E-Mountainbikes geschuldet. Damit lassen sich Waldgebiete erschließen, die vorher gar nicht für jeden erreichbar waren. Jetzt fahren die Menschen gleich mehrfach runter und wieder hoch, wo man sich früher mühsam einmal hochgekämpft hat. Das führt vor Augen, wie stark die Nutzung des Waldes durch Radfahrer intensiviert wurde.

Fischbach: Davon können die Jäger übrigens auch ein Lied singen. Sie steigen auf ihren Hochsitz und sehen zehn Mountainbiker, aber kein Reh. Dass hier Frustrationen entstehen, ist kein Wunder.

Wie steht es um die anderen Besuchergruppen?

Samuleit: Das Zerstörungsrisiko bezieht sich nicht nur auf Mountainbiker. Wenn man die schönen Orchideenwiesen betrachtet, wird das deutlich: Spaziergänger wollen sie fotografieren - das allein schadet ja auch gar nicht. Aber beim Hinlaufen treten sie andere empfindliche Pflanzen kaputt.

Fischbach: Erwähnenswert ist auch das Waldbaden, das immer mehr zum Trend wird. Zwar sind die Menschen, die das praktizieren, meist achtsam und verhalten sich ruhig, aber sie gehen eben mitunter auch dorthin, wo viele Tiere sind, und dringen in deren Lebensraum ein.

Die Förster gehören ja selbst auch zu den Nutzern. Bekommen Sie die Probleme direkt zu spüren?

Fischbach: Die Nutzung von Holz ist angesichts des Klimawandels sinnvoll und für manche Waldbesitzer eine wichtige Zielsetzung. Das stößt aber bei vielen Besuchern auf Unverständnis. Es stört sie, wenn der Wald gesperrt wird und sich das Waldbild stark verändert.

Samuleit: Die Leute wissen oft gar nicht mehr, welche Risiken im Wald existieren und sehen nicht ein, zurückzustecken. Für Forstwirte ist es gar nicht lustig, wenn Menschen sich etwa bei Baumfäll- arbeiten nicht an Absperrungen halten. Das kann Leben kosten.

Kirchheim und Nürtingen arbeiten daran, den ersten legalen Trail im Talwald auszuweisen. Sie waren bei den Gesprächen dabei. Wie haben Sie sie wahrgenommen?

Fischbach: Sie waren sehr kons- truktiv. Alle waren dankbar, die Gegenseite und ihre Positionen kennenzulernen. Das führt schon automatisch zur Konfliktverringerung.

Samuleit: Ziel ist es, eine gute Alternative für Mountainbiker zu finden und Konflikte zu entzerren. Am Ende kann es sein, dass ein Angebot entsteht, das vielleicht nicht ganz den Wünschen der Mountainbiker entspricht - aber sie sind ja auch nicht alleine auf der Welt.

Im Schwarzwald gibt es zahlreiche Trails. Warum im Kreis Esslingen nicht?

Fischbach: Im Schwarzwald ist es viel leichter, Ausnahmen zu erzielen und Trails auszuweisen. Dort gibt es weniger Schutzgebiete und ganze Hänge gehören nur einem Waldbesitzer. Die Gemeinde Baiersbronn etwa fördert die Ausweisung von Trails aus touristischen Gründen. Wenn eine Kommune dahinter steht, wird es noch mal leichter.

Wie stehen Sie persönlich zu den Mountainbikern im Wald?

Fischbach: Wir schlagen uns auf keine Seite. Uns gehört der Wald auch nicht - aber wir kennen ihn, das Ökosystem und die vielen Interessen. Für uns heißt es, einen Weg zu finden, den alle mittragen können.

Samuleit: Wenn man Rücksicht nimmt und den anderen wahrnimmt, dann ist schon viel gewonnen. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die des anderen beginnt. Das sollte auch im Wald gelten - für Radfahrer ebenso wie für Wanderer oder andere Waldbesucher.

Cordula Samuleit und Johannes Fischbach kennen die Probleme im Wald. Foto: Carsten Riedl
Cordula Samuleit und Johannes Fischbach kennen die Probleme im Wald. Foto: Carsten Riedl