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Die Ära Otto endet

Beschluss Die Spinnerei in Unterboihingen schließt zum Ende des Jahres – nach 160 Jahren Firmengeschichte. Das Unternehmen war im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig. Von Sylvia Gierlichs

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Die schwierigen Rahmenbedingungen der Textilindustrie in Deutschland belasten das Unternehmen seit Langem - der dramatische Umsatzrückgang infolge der Corona-Pandemie machte diese Entscheidung nun aber unumgänglich“, teilte die Firma mit. Für die rund 40 Mitarbeiter sollen jetzt sozialverträgliche Lösungen gefunden werden. Dirk Otto, Geschäftsführer der HOS-Gruppe, zu der Otto Textil gehört, sagt, dass die Entscheidung zur Stilllegung des Unterboihinger Werks emotional sehr schwierig gewesen sei. „Es gibt eine enge Bindung an den Betrieb.“

Bereits seit einigen Jahren leidet Otto Textil, wie viele andere Textilunternehmen, unter dem heftigen Wettbewerb aus Süd- und Osteuropa und vor allem aus Fernost. In den letzten Jahren ist es zunehmend schwieriger geworden, Aufträge zu erhalten. Der Shutdown im Einzelhandel und damit verbunden die ausbleibende Nachfrage nach Vorprodukten für die Bekleidungsbranche hätten zuletzt zu einer Produktionsunterbrechung geführt. Geschäftsführung und Gesellschafter sahen keine Chance, dass sich die Marktsituation in absehbarer Zeit nachhaltig verbessert. Daher wurde ein Gesellschafterbeschluss gefasst, die Produktion in Unterboihingen einzustellen.

Konkret lassen sich die Probleme an einem sehr innovativen Produkt festmachen, das im vergangenen Jahr für einen europaweit vertretenen Kunden entwickelt wurde: einem Garn, das aus regeneriertem PET-Material, also beispielsweise aus ausgedienten Plastikflaschen gefertigt wird. „Allerdings sind hier infolge der Corona-Pandemie die Lieferketten zusammengebrochen“, erklärt Dirk Otto. Es gibt im Moment für dieses Produkt keinen neuen Auftrag. Die Auslieferung für Mai, Juni und Juli ist seitens des Kunden verschoben worden. „Wir werden die Aufträge erfüllen, aber auch dies ist eine Kategorie, die in Unterboihingen leider auslaufen wird“, sagt Otto.

Für die rund 40 Mitarbeiter, die von der Schließung betroffen sind, ist seitens der Gesellschafter der Otto Textil ein Sozialplan vorgesehen. Den Beschäftigten soll die Anstellung in einer Transfergesellschaft angeboten werden, um die Chancen zu erhöhen, in neue Beschäftigungsverhältnisse zu kommen. „Wir bedauern diesen Schritt zutiefst, denn damit beenden wir eine fast 160-jährige Industrietradition an diesem Standort. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, sehen aber leider keine Alternative“, erklärt Dirk Otto. In den letzten zehn Jahren hätten die Gesellschafter die Hand über den Betrieb gehalten, auch, um die Beschäftigungsverhältnisse zu erhalten.

„Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig sind. Ich hoffe, dass alle unsere Mitarbeiter bald eine neue Beschäftigung finden“, sagt Tamer Coskun, Geschäftsführer der Otto Textil.

Das Unternehmen ist ein Spezialanbieter von Garnen für Bekleidungs-, Haus- und Heimtextilien sowie für medizintechnische Anwendungen. Neben für einzelne Kunden entwickelten Garnen besteht das Programm aus synthetischen Garnen, unter anderem für hochwertige Sportlabels oder technische Produkte. Die Historie der Spinnerei in Unterboihingen geht bis ins Jahr 1861 zurück. Hinter den heute denkmalgeschützten Fassaden befindet sich eine der Keimzellen der württembergischen Industriegeschichte. Die HOS-Gruppe besteht nun noch aus den Sparten Energie und Immobilienverwaltung und -entwicklung.