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Die Freiheit gibt’s schon vor der Rente

Auswanderer Die beiden Weilheimer Sonja Bahr und Udo Samide haben ihren ganz persönlichenTraum verwirklicht: Seit wenigen Wochen leben sie im eigenen Holzhaus in der Steiermark. Von Irene Strifler

Sonja Bahr zeigt ein Foto von ihrem Traumhaus in der Bauphase.Foto: Jean-Luc JacquesUdo Samide (unten) hat beim Bau und bei der
Sonja Bahr zeigt ein Foto von ihrem Traumhaus in der Bauphase.Foto: Jean-Luc JacquesUdo Samide (unten) hat beim Bau und bei der Anlage des Gartens viel Eigenleistung eingebracht.Kleine Fotos: privat

Wenn Sonja Bahr von ihrem neuen Holzhaus in der Steiermark erzählt, gerät die bodenständige Frau ins Schwärmen: Die Zirbenholzwand im Schlafzimmer duftet so wunderbar, vor der Terrasse äsen in der Dämmerung leibhaftige Rehe; der Blick fällt auf den markanten Grimming . . .

Doch die 56-Jährige ist im echten Leben alles andere als eine planlose Schwärmerin. Was sie anpackt, hat Hand und Fuß. Deswegen ist ihr langjähriger Traum vor wenigen Wochen Realität geworden: Gemeinsam mit ihrem Partner Udo Samide ist Sonja Bahr nach Donnersbach unweit von Schladming übergesiedelt. „Ich weiß, was ich tu“, sagt die umtriebige Schwäbin überzeugt.

Mit einem Ferienhaus am Lieblingsurlaubsort hat das Paar, das in Weilheim wohnte, schon länger geliebäugelt. „Das machen wir dann, wenn wir Rentner sind“, sagten sie leichthin. „Irgendwann haben wir erkannt, dass das falsch ist“, erklären sie rückblickend. „Wer weiß, wie‘s uns dann geht?“ lautete eine der entscheidenden Fragen. Dass man sein Leben als Rentner noch umkrempelt, wagen beide zu bezweifeln. Ein Grundstück hatten sie sich schon vor einigen Jahren gesichert. Corona beschleunigte jetzt die Entscheidung, noch im Arbeitsleben Nägel mit Köpfen zu machen.

Schwer fiel nur der Schritt, die Kündigung einzureichen. Schließlich hat Sonja Bahr, die in Reutlingen aufgewachsen ist, ganze 32 Jahre lang beim Teckboten im Vertrieb gearbeitet. Doch die Gewissheit, die alte Sicherheit gegen schöne neue Erfahrungen einzutauschen, gab ihr Zuversicht.

Hauptziel des Paares war, sich raus aus der Stadt rein in die Natur zu begeben. Weil es in Donnersbach so schön ist, hatten sie in der dortigen Bergwelt zuvor schon ihren Wohnwagen stehen. Udo Samides Vater, der wie sein Sohn Busfahrer war, brachte vor einem halben Jahrhundert schon Reisegäste zum Skifahren in die Gegend. Den Grabenwirt in Irdning und den Donnerwirt in Johnsbach, wo man damals mit Etagendusche und Gemeinschafts-Toilette hauste, gibt es heute noch. Ebenso kostenlos dazu den Blick auf den über 2300 Meter hohen Grimming, der zum Dachsteingebirge zählt.

„Wir haben dort noch nie schlechte Erfahrungen gemacht“, erzählt Sonja Bahr. Deshalb sieht sie den Schritt, den beide jetzt gemeinsam gegangen sind, auch nicht als Wagnis an. „Wir ziehen nach Österreich und nicht nach Thailand“, meint sie lachend. Wie erhofft, hat Udo Samide schon Arbeit gefunden, und Sonja Bahr ist sicher, dass es auch für sie etwas geben wird. „Wer schaffen will, für den gibt es eine Stelle“, ist ihr Eindruck. Bis zur Rente haben die beiden noch einige Jährchen. Einstweilen träumt sie von einem kleinen Laden für Handarbeiten und Handwerk, den sie „Hexenwerk Donnersbach“ nennen will. Dahinter steckt ihre Lebensphilosphie, mit der sie schon viele Probleme bewältigt hat: „Das ist doch kein Hexenwerk“, meint sie immer und macht sich ohne Zögern ans Werk.

So auch jetzt. Gemeinsam mit einer örtlichen Holzbaufirma haben sie ein reines Holzhaus erstellt. „In Stein und Beton haben wir lange genug gelebt“, meinen sie überzeugt und beschreiben ihr Haus als moderne Alm. Witzigerweise hat Sonja Bahr schon als 17-Jährige davon geträumt, ein mal eine Zeit auf einer Alm zu verbringen. Dass dies vier Jahrzehnte später wahr werden würde, ahnte keiner.

Realistisch wie die beiden Mittfünfziger sind, haben sie das Alter bei der Planung berücksichtigt: „Alles ist auf einer Ebene angelegt, mit schwellenfreier Dusche“, erzählen sie. Drumrum gibt‘s wie gewünscht viel Natur: Ganze zehn Ar davon gehören ihnen selbst - Platz, um einiges anzubauen.

Natürlich gab‘s auch ein paar Schwierigkeiten zu meistern. Zum Beispiel als sie mit vollgepacktem Lkw und allem Hab und Gut kurz vor Ostern anreisten und ihr Haus beziehen wollten. Direkt beim Eintreffen wurde da ein riesiger Seecontainer im Garten abgeladen. Der Grund erschloss sich wenig später: Das Haus war nicht rechtzeitig fertig geworden. Der Bauunternehmer hatte nicht gewagt, die beiden zu informieren, aber für den Container gesorgt, in dem alles zwischengelagert werden konnte. „Da habe ich einen Schreikrampf bekommen“, erinnert sich Sonja Bahr.

Doch was soll‘s. Die beiden haus- ten eben ein ein paar Wochen im Wohnwagen. Mittlerweile haben sie ihr Holzhaus bezogen und loben täglich die Entscheidung, ihren Traum beherzt Realität werden zu lassen. „Wir leben jetzt da, wo andere Urlaub machen“, meint Sonja Bahr zufrieden. Die Freiheit gibt‘s schon vor der Rente.

Teckbote - Frau Bahr wandert aus
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