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Die Rückkehr ins Rudel

Radsport Jannik Steimle gibt am Dienstag in Spanien sein Comeback bei der Ruta del Sol. Nach seiner langen Verletzungspause ruhen alle Hoffnungen auf einer starken zweiten Saisonhälfte. Von Bernd Köble

Ab in die Sonne: Jannik Steimle (Zweiter von rechts) startet am Dienstag bei der Ruta del Sol.Foto: Wout Beel
Ab in die Sonne: Jannik Steimle (Zweiter von rechts) startet am Dienstag bei der Ruta del Sol.Foto: Wout Beel

Knappe neun Wochen nach seinem Horrorsturz in Belgien steht Jannik Steimle vor seinem Comeback im Radsport. Der 25-Jährige startet am Dienstag in Spanien bei der Ruta del Sol. Die fünftägige Andalusien-Tour, traditionell eine der ersten Rundfahrten im Jahr auf europäischem Boden, wurde im Februar wegen Corona verlegt. Für den Weilheimer ist es der ideale Einstieg nach langer Pause mit Brüchen an Rippen, Schulter und Halswirbel. Drei Etappen durchs Hügelland der spanischen Südküste, eine Bergprüfung und ein Flachstück am vorletzten Tag - das verspricht weniger Nervosität im Feld und damit weniger Sturzrisiko als am heutigen Samstag beim belgischen Eintagesrennen GP Vermarc, für das Steimle von seinem Arbeitgeber Deceuninck Quick Step zunächst eingeplant war.

Die Rückkehr ins „Wolfpack“ - ins Wolfsrudel - wie die Belgier sich selbst betiteln, ist für ihn Befreiung und zugleich ein Start ins Ungewisse. Als Mann für die Frühjahrsklassiker, wo er sich in seiner zweiten Saison für die führende Equipe im Weltradsport beweisen wollte, muss er sich nun eine neue Bühne suchen - und erst einmal den Motor wieder voll auf Touren bringen. „Ich bin noch nicht bei hundert Prozent, aber ich fühle mich gut“, sagt Steimle, der weiß, dass er mächtiges Glück hatte. Statt im Rollstuhl saß er nach drei Wochen wieder auf der Rolle, nach der vierten bereits draußen auf dem Rad.

Verpflegungsbeutel umhängen, Trinkflaschen abgreifen am Begleitfahrzeug, das sind Dinge, die im Moment mehr Kopfzerbrechen bereiten als hohes Tempo oder steile Anstiege. Die gebrochene Schulter ist in ihrer Beweglichkeit bei 85 Prozent. Das schließt viele Bewegungen noch immer aus. „Fürs Rennenfahren reicht‘s“, sagt Jannik Steimle, der sich von Teamleitung und Mannschaftsärzten in dieser Woche das letzte O.k. geholt hat. Weil Homeoffice längst auch für Radprofis eine Option ist, hat er die entscheidenden Belastungstests in den vergangenen Tagen bei Berg-Intervallen auf der Alb absolviert. Die Leistungswerte fließen direkt vom Radcomputer ins Datenportal seines Trainers in der belgischen Teamzentrale. Von dort kommen dann die nächsten maßgeschneiderten Trainingspläne.

Das Beste im Schlechten zu sehen, ist das, was man als Sportler lernt. Er habe das Gefühl, dass ihm die Zwangspause sogar gut getan habe, meint Jannik Steimle. „Durch die kurze Winterpause bin ich nie richtig ausgeruht gewesen“, sagt er. Der Körper ist das eine. Wie der Kopf den Unfall verarbeitet, etwas ganz anderes. Schließlich fährt das Sturzrisiko in jedem Rennen mit. Der Verzicht aufs heutige Eintagesrennen im flämischen Wezemaal mit seinen vielen Richtungswechseln und engen Kurven war dem geschuldet. Die Woche in Spanien ist als Einstieg besser geeignet. Danach startet Steimle bei der Tour de Suisse. Die beginnt am 6. Juni mit einem 10,9 Kilometer kurzen Zeitfahren in Frauenfeld und dient vielen Teams als erste Vorbereitung auf die Frankreich-Rundfahrt im Juli.

DM bleibt das Nahziel

Für den Weilheimer liegt das Highlight in diesem Jahr direkt vor der Haustür: Die DM in Stuttgart, wo er als offizieller Botschafter auftritt, stand für ihn lange auf der Kippe. Abgeschrieben hat er den Kampf ums Meistertrikot nie. Jetzt heißt es, rechtzeitig fit werden und darauf hoffen, dass das größte Radevent im Südwes- ten am 19. und 20. Juni vielleicht doch noch vor einer begrenzten Zahl Zuschauer stattfinden kann.

Fünf Wochen bleiben. Für steigende Form, für weiter sinkende Inzidenzwerte und für ein paar Grad mehr Beweglichkeit in der Schulter. Denn: „Richtig jubeln“, meint Jannik Steimle, „ginge zurzeit auch noch nicht.“

Kampf um neuen Vertrag

Im Herbst endet der Zweijahresvertrag von Jannik Steimle bei Deceuninck Quick Step. Sich wie geplant mit Siegen für einen neuen Kontrakt beim Nummer-eins-Rennstall zu empfehlen, dürfte nach seiner Auszeit zumindest in der ersten Saisonhälfte schwierig werden.

Immerhin: Teamchef Patrick Lefevère gilt als ein Mann mit sicherem Gespür für junge Talente. Und weil das Team in Königsblau wie nur wenig andere Rennen im Kollektiv kontrolliert, braucht es neben Stars und Solisten wie Julian Alaphilippe oder Sam Bennett auch Arbeiter und hungrige Newcomer, die an besonderen Tagen in der Lage sind, ins Rampenlicht zu fahren. bk