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Die Unverzichtbaren

Fußball Im Bezirk Neckar/Fils ist etwas weniger als die Hälfte aller Unparteiischen älter als 40 Jahre. Ein Alterslimit wie im Profifußball brächte den Spielbetrieb zum Erliegen. Von Reimund Elbe

Im Amateurbereich des Fußballs ein gewohntes Bild: Schiedsrichterkarrieren, die Jahrzehnte überdauern, werden trotzdem immer sel
Im Amateurbereich des Fußballs ein gewohntes Bild: Schiedsrichterkarrieren, die Jahrzehnte überdauern, werden trotzdem immer seltener.Foto: Markus Brändli

Manuel Gräfe - kaum ein Unparteiischer hat zum Karriereende eine heftigere Kontroverse ausgelöst. 47 Jahre alt, topfit, aber laut DFB-Vorgaben zu alt für den Spielbetrieb in der Fußball-Bundesliga. Gräfe klagt inzwischen gegen den Verband und seine Zwangsverrentung, hässliche Attacken von Ex-Kollegen inklusive. „Ein Problem unserer Gesellschaft, dass die Alten nicht loslassen können“, ätzte beispielsweise der einstige Fifa-Referee Markus Merk. Ex-Kollege Peter Gagelmann ließ gar verlauten, Gräfe wolle „wohl nur noch mal Geld abgreifen“.

Eine ähnlich unschöne Debatte bleibt den Vertretern im unteren Amateurbereich erspart. Hier existiert kein Alterslimit und damit auch kein Luxusproblem, wie viele meinen. Ganz im Gegenteil: Hier würde es mit einem Limit düs- ter aussehen. Darüber sind sich Insider einig. „Eine Altersgrenze von 47 Jahren würde mittelfristig das Ende des Ligabetriebs bedeuten“, sagt einer, der es wissen muss: Steffen Müller, Obmann der Schiedsrichtergruppe Nürtingen, schätzt nicht nur Treue und Verlässlichkeit der „Ü47-Fraktion“, sondern auch deren Vielzahl an geleiteten Partien. „Zeitlich und beruflich oftmals sehr flexibel, sind für sie 40 bis 70 Spiele pro Saison keine Seltenheit“, berichtet der Obmann aus seiner Statistik. Ohne sie könnten längst nicht mehr alle Begegnungen besetzt werden. Kummer bereitet ihm allerdings die quantitativ eher spärlich besetzte sogenannte Mittelschicht. „Junge Schiedsrichter kommen zwar zum Lehrgang, sie über die entsprechende Schwelle zu bekommen, ist aber schwierig“, betont Müller.

Ins verlängerte Schiri-Schwabenalter kommen die meisten erst gar nicht in ihrem Amt. „Da lernen die Burschen eine Freundin kennen, gründen eine Familie, und schon stehen sie vor der Entscheidung, weiterzumachen oder aufzuhören“, sagt Adolf Gluiber. Der 83-Jährige aus Zizishausen genießt Kultstatus in der hiesigen Fußballszene. Seit über 60 Jahren pfeift er, mehrere Tausend Partien hat er schon geleitet. Dass den älteren Schiedsrichtern im Amateurbereich eine immer bedeutendere Rolle zukommt, erstaunt ihn nicht. „Das System würde zusammenbrechen, gäbe es eine Altersgrenze wie im Profibereich“, ist auch er überzeugt. Gluiber hat als Schiedsrichter alle Lebensphasen durchlaufen. Als junger Bursche, als Familienmensch und als in Ehren ergraute Respektsperson. „Eminent wichtig ist die Fortbildung und die Freude daran, Neues zu erlernen“, betont er. Schließlich müsse er eine Antwort auf dem Platz haben, wenn ein Spieler den Grund einer Entscheidung erfrage.

Kameradschaft ist der Kitt

Dass er über die Jahre im Gegensatz zu vielen anderen dabei geblieben sei, hätte auch viel mit Kameradschaft zu tun gehabt. „Einst saßen wir Schiris nach den Spielen im „Stern“ in Frickenhausen zusammen, haben gegessen, getrunken und über das Erlebte diskutiert“, erinnert er sich mit etwas Wehmut an die Siebziger- und Achtzigerjahre.

Auch Uli Eder vom FC Frickenhausen gehört zu den systemerhaltenden Referees höheren Alters. Kürzlich runde 80 geworden, blickt er auf rund 4000 Partien zurück. In einem Jahr pfiff er nach eigener Statistik 128 Spiele - Partien bis hinauf in die Erste Amateurliga. „Ohne Motivation geht das nicht“, sagt Eder bestimmt. „Rückschläge muss man aushalten und auch ausschalten können.

Kurt Weitz weiß, wie schwer das manchem Unparteiischen fällt. Der Kohlberger und Ex-Landesligatorhüter ist nicht nur seit Jahrzehnten selbst Referee, sondern auch seit etlichen Jahren Schiedsrichterbeobachter. Er bewertete einst unter anderem die heutigen Bundesliga-Stars Martin Petersen und Tobias Reichel. „Das Verhalten mancher Zuschauer ist befremdlich“, stellt der 59-Jährige dabei fest. Neben familiären Gründen sei das veränderte Zuschauerverhalten die häufigste Ursache, weshalb Schiedsrichter aufhörten.

Leisten kann sich kein Fußballbezirk solche Verluste. Deshalb gehört Rainer Veit, Vorsitzender im Bezirk Neckar/Fils, zu den Mahnern. „Das Level ist gerade noch tragfähig“, merkte der hiesige Fußball-Boss beim jüngsten virtuellen Staffeltag der Vereine mit Blick auf die Schiedsrichterzahlen an. Weniger dürften es allerdings nicht mehr werden, sagt er. Was etwas Hoffnung macht: Mittlerweile sind 14 der insgesamt 409 Referees im Bezirk weiblich. Trotzdem sagt Veit: „Da ist noch viel Luft nach oben.“