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„Die Vorteile überwiegen“

Straßenbau Die IHK spricht sich für einen zügigen, sechsspurigen Ausbau der B 27 auf den Fildern aus. Umweltschützer, Landwirte und einige Kommunalpolitiker sehen die Pläne kritisch. Von Greta Gramberg

Die B¿27 ist eine wichtige Verkehrsachse, in Stoßzeiten aber immer überlastet.Foto: Horst Rudel
Die B¿27 ist eine wichtige Verkehrsachse, in Stoßzeiten aber immer überlastet.Foto: Horst Rudel

Morgens Staus in Richtung Stuttgart, nachmittags Richtung Tübingen: Nach Einschätzung des Bundes und des Stuttgarter Regierungspräsidiums ist die B 27 auf den Fildern zwischen Leinfelden-Echterdingen und Aichtal den vielen Autos und Lastwagen nicht mehr gewachsen. Doch gegen den Ausbau der Bundesstraße regt sich Widerstand bei verschiedenen Interessengruppen. Nun hat sich auch die Industrie- und Handelskammer im Bezirk Esslingen-Nürtingen zu Wort gemeldet - und sich für die zügige Verbreiterung von vier auf sechs Spuren ausgesprochen.

Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur sei ein wichtiger Standortfaktor, sagte Vanessa Bachofer, Mitglied des Präsidiums der IHK im Kreis Esslingen, bei einer Pressekonferenz. Weil die Vorteile aus Sicht der Unternehmen überwögen, habe die Bezirksversammlung mehrheitlich dafür gestimmt, sich für den B-27-Ausbau stark zu machen. Entlang der Bundesstraße seien viele Industrie- und Logistikbetriebe angesiedelt. „Auf dem Abschnitt findet deswegen viel Warenverkehr statt“, so Bachofer. Das Unternehmen ihrer Familie, Mack und Schneider, sitzt in Filderstadt-Plattenhardt, knapp einen Kilometer von der B 27 entfernt, die eine wichtige Versorgungsachse für sie sei. Die Firma ist ein auf Kunststofftechnik spezialisierter Industriebetrieb - Homeoffice sei für nur wenige Mitarbeiter realisierbar. Vielen anderen Betrieben gehe es ähnlich.

Der Verkehr habe sich im Zuge der Corona-Pandemie kaum verringert. Nach dem ersten Lockdown habe er sich seit Mai 2020 sogar wieder zunehmend normalisiert. Das hätten auch Verkehrszählungen bestätigt, ergänzte IHK-Geschäftsführer Christoph Nold. Damit kontert die Kammer Erwartungen, der Straßenverkehr werde sich nach der Pandemie im Zuge eines neuen Arbeits- und Mobilitätsverhaltens verringern - ein Argument der Ausbaugegner. „Mir ist nicht bekannt, dass es von irgendeiner Planungsstelle ernsthafte Zweifel daran gibt, dass die derzeitigen Fahrzeugzahlen nicht auch in Zukunft erreicht werden.“

Laut dem Regierungspräsidium Stuttgart sind auf dem B-27-Abschnitt täglich im Durchschnitt 70 000 bis 90 000 Fahrzeuge unterwegs. Ein Ausbau auf sechs Spuren ist nach einer Richtlinie des Bundes bereits ab 60 000 Fahrzeugen geboten. Deswegen ist das Projekt im Verkehrswegeplan mit vordringlichem Bedarf vermerkt und soll bis 2030 realisiert werden. Das sollte nach dem Wunsch der IHK aber schneller gehen. Teil des Positionspapiers ist die Forderung nach einer „maximalen Beschleunigung des Planfeststellungsverfahrens“.

Tendenz zum Standortwechsel

Umwelt- und Klimaschützer, Landwirte und einige Ratsfraktionen der Filderkommunen haben sich gegen den Ausbau ausgesprochen, auch Filderstadts Oberbürgermeister Christoph Traub äußerte zwischenzeitlich Zweifel. Gegenüber der „unternehmenskritischen Öffentlichkeit“, wie der IHK-Vizepräsident Alexander Kögel sagte, will die Bezirkskammer künftig prominenter die Position der lokalen Wirtschaft vertreten. Damit spielt er auch auf das umstrittene Gewerbegebiet Hungerberg zwischen Dettingen und Kirchheim an. „Wir wollen uns in den Dialog einbringen.“ Wichtig sei der IHK, dass Unternehmen und Wertschöpfungsketten vor Ort blieben, erklärte der Inhaber eines Modehauses in Esslingen.

Mit Sorge sehe die Bezirkskammer bei Industriebetrieben eine Tendenz zum Standortwechsel. Es tue weh, dass Bosch ein Halbleiterwerk in Dresden eröffne. Zumal im Zuge der Transformation der Automobilbranche Arbeitsplätze wegfielen, die ersetzt werden müssten. Das sei nicht nur für die Industrie wichtig, sondern auch für Gastronomie und Einzelhandel, weil so die Kaufkraft vor Ort bleibe. Um dies zu erreichen, ist es das erklärte Ziel der Bezirkskammer, sich für attraktive Standortbedingungen einzusetzen. Die Verkehrsinfrastruktur werde den Anforderungen der starken Wirtschaftsregion nicht gerecht, meinte Kögel. Zudem moniert die Bezirkskammer fehlende Gewerbeflächen und fehlenden bezahlbaren Wohnraum.

Ziel sei eine „gute und nachhaltige Standortentwicklung, damit die Unternehmen da bleiben“, sagte IHK-Präsidentin Heike Kauderer. „Wir wollen die Region als lebenswerte Region in all ihren Facetten entwickeln.“ Dazu gehöre es, Bedürfnisse des Umweltschutzes und des Erhalts zukunftsfähiger Arbeitsplätze und des Wohlstand zusammenzuführen, erklärte die Geschäftsführerin zweier Hotels in Ostfildern. In diesem Zusammenhang plädiert die IHK auch dafür, es beim Ausbau der B 27 bei sechs Spuren zu belassen. Weitere Überlegungen in Richtung eines größeren Querschnitts, die zuletzt von Verkehrsplanern angestellt worden waren, halte man angesichts der widerstreitenden Interessenlagen und weiterer Verzögerungen für nicht zielführend.