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Die Wetterfee setzt sich zur Ruhe

Ehrenamt Nach mehr als 38 Jahren als Wetterbeobachterin gibt Rudita Thamm aus Baltmannsweiler ihre Aufgabe in jüngere Hände ab. Von Julia Theermann

Rudita Thamm (rechts) zeigt Nachfolgerin Annette Möhle, Michael Gutwein vom DWD und Bürgermeister Simon Schmid ein Detail. Foto:
Rudita Thamm (rechts) zeigt Nachfolgerin Annette Möhle, Michael Gutwein vom DWD und Bürgermeister Simon Schmid ein Detail. Foto: Roberto Bulgrin

Beim ersten Regentropfen, Hagelkorn oder Donner- grollen hat Rudita Thamm aus dem Baltmannsweiler Ortsteil Hohengehren mehr als 38 Jahre lang stets den Stift und ihr Tagebuch gezückt. Wann fing der Schauer an? Wie lange hat es geregnet? In welche Richtung zieht das Gewitter? Ist der Boden trocken oder feucht? Für den Deutschen Wetterdienst (DWD) hat die heute 87-Jährige seit Januar 1983 die Niederschlagsstation betreut, die heute auf dem Schulhof der Grundschule steht, und alle ihre gesammelten Daten aufgeschrieben. In dieser Woche ist die Seniorin für ihren jahrzehntelangen Einsatz geehrt worden.

Mit 38 Jahren durchgängiger ehrenamtlicher Tätigkeit sei Thamm knapp an den 40 Jahren vorbeigeschrammt, für die sie das Bundesverdienstkreuz erhalten hätte, wie Michael Gutwein von der Stuttgarter Außenstelle der Regionalen Messnetzgruppe München des DWD in seiner Rede scherzte. Dafür habe Thamm aber 2008 im Rathaus von Baltmannsweiler vom damaligen Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee die Wetterverdienstplakette für ihr Engagement bekommen. Auch Bürgermeister Simon Schmid war am Dienstag gekommen, um Thamm den Dank der Gemeinde auszusprechen.

Wetterbeobachtung ist ein anspruchsvolles Ehrenamt, wie Gutwein betont. Jeden Tag habe die Betreuerin der Wetterstation ein Auge auf das Wetter haben und die Station pflegen müssen. Thamm hatte das Ehrenamt am 1. Januar 1983 von ihrem Schwiegervater übernommen, der sich 13 Jahre lang um die Niederschlagsmeldungen an den DWD gekümmert hatte. Doch auch in dieser Zeit, sagt Rudita Thamm, habe sie ihrem Schwiegervater oft bei der ehrenamtlichen Arbeit geholfen. Theoretisch habe sie also sicher 40 Jahre mit der Wetterbeobachtung in Hohengehren verbracht. Nachdem ihr Schwiegervater aus Altersgründen das Amt aufgegeben hatte, habe sie die Beobachtungen unbedingt weiter verfolgen wollen.

Im Rahmen der Feierstunde wollte Gutwein einige der markantesten Wetterkapriolen in Thamms Einsatz an der Messstation vortragen, doch die Geehrte kam ihm zuvor. „1985 hatten wir ein großes Unwetter mit Hagelkörnern im Durchmesser von drei Zentimetern“, erinnert sie sich. „Ich kann heute noch die Löcher von den Einschlägen in den Rollläden der Nachbarn sehen.“ Ein weiteres einschneidendes Erlebnis sei der Sturm „Lothar“ gewesen, der im Dezember 1999 auch über das Dorf fegte.

Gutwein hatte auch ein paar Wetterfakten aus der Zeit vor Thamms Tätigkeit als ehrenamtliche Wetterbeobachterin auf Lager. So habe die Schurwaldgemeinde ihren nassesten Monat im Mai 1978 erlebt, als 237,3 Liter Regen gefallen seien. Im trockensten Monat dagegen, dem November 2011, seien es gerade einmal 0,7 Liter gewesen. Das regenreichste Jahr in Hohengehren sei 1965 mit insgesamt 1273,2 Litern gewesen. 1949 habe es dagegen nur 565,1 Liter Regen im ganzen Jahr gegeben.

Die Niederschlagsstation in Hohengehren ist eine von 220 Wetterstationen in Baden-Württemberg. „Ohne Ehrenamtliche würde das nicht funktionieren“, sagt Gutwein. Im Kreis Esslingen gibt es noch drei weitere Messstellen, die unterschiedliche Aufgaben haben. Die Station in Nürtingen-Reudern ist eine konventionelle Niederschlagsmessstelle, in Notzingen gibt es eine automatisierte Klimastation, wo außer Niederschlag auch Temperaturen und die relative Luftfeuchtigkeit gemessen werden. Auch die Temperatur fünf Zentimeter über dem Erdboden wird dort überwacht. In Filderstadt-Bernhausen steht die hauptamtliche Station am Flughafen der Flugwetterwarte. Hier würden alle denkbaren Werte ermittelt, die für Flüge relevant seien, so Gutwein.

Über die Jahre hat die Niederschlagsstation in Hohengehren mehrfach ihren Standort gewechselt. Nachdem sie seit 1937 zunächst bei dem jeweiligen Beobachter im Garten gestanden hatte, kam sie im November 2011 auf ein gemeindeeigenes Grundstück. Auch die Arbeit selbst hat sich verändert, berichtet Thamm. „Einmal im Monat musste ich meine gesamten täglichen Aufzeichnungen vom Tagebuch abschreiben und nach Stuttgart schicken“, sagt die Seniorin. Heute sei das längst nicht mehr zeitgemäß, erklärt Gutwein. Daten müssten nun möglichst sofort vorliegen. Nach und nach seien die Niederschlagsstationen daher umgerüstet worden, sodass die Regenmengen automatisch erfasst werden. Damit habe sich die tägliche Arbeit der Freiwilligen zwar reduziert, eine regelmäßige Wartung der Station sei dennoch bis heute nötig. Zusätzlich zu der Überwachung des Regens gehörte zu Thamms Aufgaben auch die Bestimmung der Schneehöhe im Winter sowie des Wassergehalts der Schneedecke. Hierbei habe sich jahrelang Thamms Ehemann hervorgetan, immerhin sei das Messgerät ganz schön schwer.

Thamms Nachfolgerin, Annette Möhle, war zu der Feierstunde gekommen. Sie war von ihrer Vorgängerin vorgeschlagen worden. Wie Thamm wohnt sie in der Nähe der Schule und hat damit einen kurzen Weg zur Station. Das Loslassen vom Ehrenamt scheint Thamm zumindest zu Beginn schwer gefallen zu sein. „Direkt nachdem meine Nachfolgerin im Januar gestartet ist, hat es einige Zeit lang ordentlich geschneit“, sagt sie. „Da habe ich sie angerufen und gesagt, dass ich es nicht lassen konnte und noch mal mitgemessen habe.“