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Erntehelfer werden schmerzlich vermisst

Hilfe Das von der Bundesregierung verhängte Einreiseverbot wirkt sich vor allem auf Spargel und Erdbeeren aus. Spontane Unterstützung von Studenten oder Kurzarbeitern freut Landwirte. Von Lutz Selle

Hier wachsen die Erdbeeren für den Nürtinger Rammerthof. Wer beim Ernten helfen wird, ist aber noch unklar. Foto: Ralf Just
Hier wachsen die Erdbeeren für den Nürtinger Rammerthof. Wer beim Ernten helfen wird, ist aber noch unklar. Foto: Ralf Just

In Corona-Zeiten bleibt kaum mehr etwas so, wie es jahrelang selbstverständlich war. Das betrifft auch die unmittelbar bevorstehende Ernte von Spargel und Erdbeeren. Bisher sind stets für einen vorübergehenden Zeitraum Erntehelfer aus anderen Ländern eingereist. Das hat das Bundesinnenministerium bis auf Weiteres verboten. Doch was bedeutet das für die heimischen Landwirte?

Guido Henzler gehört zum Team der Geschäftsführung des Rammert­hofs im Nürtinger Stadtteil Raidwangen. Im dortigen Hofladen werden unter anderem selbst angebautes Obst und Gemüse angeboten - darunter auch Spargel und Erdbeeren. Henzler beschäftigt über das Jahr zwischen 400 und 500 Saisonarbeitskräfte. Für die Spargelernte kommen jedes Jahr „80 bis 100 Helfer“ nach Nürtingen - „zu 99 Prozent aus Rumänien“, erzählt er. In den vergangenen Jahren konnte sich Henzler bei der Spargelernte auf ein seit Jahren gut eingespieltes Team verlassen. Die bewährten Erntehelfer hätte er gerne auch in dieser Saison in Nürtingen gehabt.

Dass die Erntehelfer aus Rumänien in Corona-Zeiten nicht mehr mit dem Auto nach Deutschland reisen können, war schon frühzeitig klar. Auf dem Landweg sind für die Erntehelfer die Grenzen in Ungarn, Österreich, Tschechien, Serbien und der Ukraine dicht. In ihrer Verzweiflung haben die deutschen Landwirte angefangen, eine Luftbrücke zu bauen. Sie charterten Flugzeuge, um die Arbeitskräfte aus Rumänien abzuholen. Auch Guido Henzler plante noch bis diesen Dienstag das Einfliegen seiner bewährten Mannschaft. Für 41 Rumänen buchte er kurzfristig Sitzplätze im Flugzeug. Die meis­ten schafften es jedoch von ihren Heimatorten nicht rechtzeitig zum Flughafen. Viele waren gemeinsam mit einem Bus zum Flughafen gefahren, der zu spät ankam. Nur vier Helfer saßen schließlich im Flieger. Die weiteren Flüge wurden gestrichen, kurz darauf folgte das definitive Verbot des Bundesinnenministeriums: „Saisonarbeitskräften und Erntehelfern wird die Einreise nach Deutschland im Rahmen der bestehenden Grenzkontrollen nicht mehr gestattet“, steht auf der Internet-Homepage des Ministeriums zu lesen. Dies habe Bundesinnenminister Seehofer nach Abstimmung im Bundeskabinett zur weiteren Eindämmung der Infektionsgefahren durch das Coronavirus angeordnet. „Die Regelung gilt bis auf Weiteres.“

Politik muss sich ändern

„Ich kann die Politik nicht mehr verstehen, zumal die Landwirtschaft doch hoch eingestuft werden sollte“, klagt Henzler. „Unsere anderen Kollegen in Deutschland und wir sind aufgeschmissen, wenn die Spargelernte ohne rumänische Arbeitskräfte beginnt. Man hat so viel Arbeit reingesteckt, und jetzt steht die Ernte an und man hat keine Leute.“ Nur 15 Rumänen seien nun vor Ort. „Aber die reichen uns nicht.“

Der Rammerthof-Geschäftsführer freut sich sehr über spontane Hilfsangebote von verschiedenen Seiten. „Sechs junge Menschen - Studenten und Schüler - und zwei Personen, denen gekündigt wurde, helfen bereits mit.“ Alle sechs habe er eingestellt. Es gebe einige „Nachfragen von Leuten, die uns unterstützen wollen“. So hätten beispielsweise zehn aktuell beschäftigungslose Mitarbeiter eines Industrie-Unternehmens ihre Hilfe angeboten. „Das ist richtig schön, wenn sich Leute bei uns melden“, sagt Henzler.

Ein Teil der Tätigkeiten könne auf diese Weise auch tatsächlich abgedeckt werden. Die Spargelernte selbst kann nach Henzlers Einschätzung aber längst nicht jeder erledigen. „Damit fangen wir bereits morgens um 5 Uhr an.“ Mit dem Nahverkehr sei der Hof aktuell zu dieser Uhrzeit nicht erreichbar. Zudem stelle das Spargelstechen eine „harte körperliche Arbeit“ dar, die nur von Männern erledigt werden könne und auch „schwer zu lernen“ sei. „Nur für das Einlernen braucht man zwei Wochen. Das Pflücken von Erdbeeren lässt sich da schon eher lernen.“ Die Spargelernte ziehe sich dann von Mitte April bis Ende Juni hin. „Die Erntehelfer müssten also zehn Wochen am Stück verfügbar sein.“

Die Erntehelfer aus Rumänien hätten in Baracken direkt an den Feldern gewohnt. „Wenn es geregnet hat, konnten sie dort hingehen.“ Sobald es wieder trocken war, nahmen die Helfer dann die Arbeit direkt wieder auf. Eine so schnelle Verfügbarkeit vor Ort ist für die deutschen Ersatzhelfer kaum möglich. Wenn sich an der Politik in den nächsten zwei Wochen nichts ändert, bleibe wohl nichts anderes übrig, als manche Spargelstangen nicht zu ernten und „nur die schönsten zu stechen“, bedauert Guido Henzler.

Ende April beginnt dann auch die Erdbeer-Ernte. „Da brauchen wir sogar noch mehr Helfer“, sagt Henzler.

Landwirte rechnen mit höheren Preisen

Um den Mangel an Erntehelfern abzumildern, hat die Bundesregierung ein Online-Vermittlungsportal eingerichtet. Unter der Internetadresse www.daslandhilft.de können sich Landwirte, die Helfer suchen, ebenso eintragen wie Freiwillige, die ihre Hilfe anbieten. „Das ist eine tolle Aktion“, findet Henzler. „Aber die Probleme bei der Spargelernte bleiben bestehen.“ Henzler hofft, dass „die Politik doch noch irgendeine Regelung für die Einreise der Saisonarbeiter findet“. In zwei Wochen beginne die Spargel­ernte. Und schon jetzt würden die Preise für Gemüse und Obst auf dem Großmarkt sprunghaft in die Höhe gehen.

Nicht so dramatisch stellt sich aktuell die Situation bei Spargel und Erdbeeren beim Betrieb von Erich Kemmner dar. Zugunsten der Viehzucht hat der Unterensinger Landwirt die Flächen für Spargel und Erdbeeren in den vergangenen Jahren reduziert. Geplant hat er für die Ernte mit drei Helfern aus Polen. „Ich hoffe, dass sie kommen können, wenn wir sie Mitte April brauchen.“ Auch das Portal sei eine gute Idee: „Wenn Potenzial für die Hilfe da ist, wäre es blöd, es nicht zu nutzen.“ Auch Kemmner rechnet mit deutlich höheren Preisen für den Spargel in diesem Jahr, „wenn die sonst üblichen Mengen nicht kommen“. ls