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Geistliches WortJetzt steh ich hier . . .

Jetzt steh ich hier und kann‘s nicht anders. Drei Löcher in der Wand, zwei zu viel, aber das Bild hängt endlich gerade. Jetzt nur leider nicht mehr auf der Höhe, auf der ich es einmal vorgesehen hatte. Und das nervt mich, das muss doch besser gehen. Aber auch eine raffiniert entwickelte Schnurkonstruktion und ein weiteres Loch in der Wand können an der Situation nichts mehr ändern.

Ich lass das jetzt so. Auch wenn ich vor meinem inneren Auge habe, wie es aussehen könnte, bekomme ich es einfach nicht besser hin. Woher kommt eigentlich dieser innere Druck, immer und bei allem gut sein zu müssen?

Ich weiß es auch ich nicht genau. Ja, ich lebe in einer Zeit, in der der Druck von außen mächtig ist, oft genug werde ich danach beurteilt, wie gut das ist, was ich leiste. Jetzt steh ich hier und kann‘s nicht anders. Das klingt vor diesem Hintergrund zunächst einmal nach einem Vorwurf.

Aber irgendwie ist es auch ein liebevoller Blick auf das eigene Schaffen. Ein liebevoller Blick, wie ihn Gott auf uns hat, er wendet sich uns in seiner Liebe zu. Ich bin gut genug, der Grund meines Lebens macht sich nicht an dem fest, was ich leiste und schon gar nicht, wie gut ich worin auch immer bin. Ich bin geliebt und eingeladen, diese Liebe weiterzugeben, das ist Grund genug.

Das Bild, welches immer noch zu tief in unserem Wohnzimmer hängt, zeigt ein Gruppenbild unserer Hochzeit. Viele Freundinnen und Freunde, die zu Besuch kommen, suchen sich auf diesem Bild, wir kommen ins Gespräch über die Trauung, gemeinsame Freunde, tolle Erlebnisse und wie schön es ist, einander zu kennen. Und noch niemand hat angemerkt, dass das Bild jetzt aber nicht exakt in einer Linie mit den anderen hängt.

Keiner der Freunde und Bekannten beurteilt mich danach, wie gut ich Bilder aufhängen kann, und trotzdem fällt es mir schwer, mich nicht darüber zu ärgern, dass das Bild etwas zu tief hängt. Ich muss mir immer wieder fest vornehmen, den Satz - Jetzt steh ich hier und kann‘s nicht anders - als einen liebevollen Blick auf mich und mein Schaffen zu verstehen.

Wenn mir dieser liebevolle Blick auf mich selbst gelingt, wenn ich dieser Lebensgewissheit vertraue, verändert sich mein Leben.

In diesem Vertrauen kann ich neu, freier und risikofreudiger leben, mit Gott, mit anderen und mit mir selbst.

Thorben C. Haase

Vikar an der Auferstehungskirche