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geistliches WortMisere vor Gott bringen

Fast 80 000 Menschen starben in Deutschland an Corona. Bei schwerem Krankheitsverlauf mussten sie um jeden Atemzug ringen. Die meisten mussten ganz alleine sterben, ohne ihre Lieben um sich zu haben. Man kann nur ahnen, was das bedeutet. Die Angehörigen konnten den Sterbenden nicht beistehen. Sie konnten nicht Abschied nehmen. Sie müssen mit Mindestabstand und Maske trauern. Sie sind mit ihrem Schmerz isoliert. Keine Umarmung von Freunden oder der weiteren Familie, nicht einmal ein Händedruck auf dem Friedhof. Es ist unsagbar schlimm, wie unbarmherzig die Pandemie die Erkrankten, die Sterbenden und die Trauernden quält, eine richtige Misere.

Vor Monaten hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiner den 18. April zum Tag des Gedenkens ausgerufen. Als öffentliches Zeichen der Solidarität mit den Isolierten: ihr seid nicht allein, wir nehmen Anteil, wir stellen uns an eure Seite. Wir halten inne und geben gemeinsam der Trauer Raum, inmitten aller hektischen Krisenbewältigung.

Am Sonntag um 10.15 Uhr wird der ökumenische Gottesdienst mit offiziellem Gedenkakt aus der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Fernsehen übertragen. Persönlich dabei sein kann man am Sonntag um 18 Uhr in der Kirchheimer Martinskirche. Da werden die christlichen Kirchen gemeinsam „Trauer und Sehnsucht Raum geben“. Dieses „Raum geben“ gilt allen von der Pandemie Betroffenen. Das Virus betrifft die körperliche und seelische Gesundheit, das Zusammenleben, die Arbeit, die Freizeit, das Planen und Hoffen. Und niemand weiß, was noch kommt, für jede und jeden Einzelnen, in der Familie, im weiteren Umfeld, im Land und weltweit. Halten wir gemeinsam inne, stellen wir uns der Misere und bringen wir sie vor Gott.

Ob der Bundespräsident wohl den liturgischen Kalender kennt? Da heißt es am morgigen Sonntag nämlich „Misericordias Domini“, auf Deutsch heißt das „Barmherzigkeit Gottes“. Im Bild von Gott als dem guten Hirten erkennt man, wie barmherzig und liebevoll sich Gott um das Ergehen seiner Menschen kümmert. Er lässt sich von ihrer Not betreffen und greift ein. Und genau das brauchen die Menschen doch an diesem Sonntag: Gottes Misericordia in der Misere, die einen gerade bedrängt. Gott ist da. Er stellt sich an die Seite von jedem und jeder. Gott hat an Ostern den Tod überwunden. Er lässt einen dann auch im Ringen mit dem Virus nicht allein. Er hat Erbarmen mit den Leuten. Mit allen seinen Menschen.

Christoph Schweikle evang. Pfarrer an der Christuskirche Kirchheim