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Geistliches WortTrauer zeigen ist wichtig

Nächste Woche beginnt er wieder, der Monat, den viele Leute nicht mögen: Der November - der Totenmonat, wie er auch genannt wird. Er zeigt sich meist grau, neblig, trist. Nach Allerseelen folgt der Volkstrauertag und dann der Totensonntag, Tage, an denen wir uns an unsere Verstorbenen erinnern. Wir werden an unsere Grenzen und Begrenzungen erinnert. Keine Zeit für Visionen, eher für Erinnerungen. Erinnerungen an Menschen, die wir vermissen. Sie haben mit uns gelacht, geweint und geschwiegen, Lebenszeiten geteilt. Dann sind sie gegangen, keiner konnte sie aufhalten. Manchen sind die Rituale beim Totengedenken unangenehm. Die Gräber werden hergerichtet, Kerzen werden angezündet. All das erscheint ihnen überflüssig, weil sie meinen, es reicht, wenn die Toten bei den Angehörigen in guter Erinnerung sind.

Dennoch sind solche Tage wichtig. Schauen wir in andere Kulturen, so finden sich dort zum Teil recht ausschweifende Bräuche im Zusammenhang mit dem Totengedenken. Mancherorts nehmen Menschen Urlaub und ziehen schon morgens mit der ganzen Familie zum Friedhof. Dort sitzen sie um ihre Gräber herum, picknicken und feiern ein fröhliches Fest - sozusagen gemeinsam mit ihren Verstorbenen. Anderswo werden die Friedhöfe mit bunten Girlanden und Blumen geschmückt, wie zu einem Gartenfest.

Und in Lateinamerika gibt es den Brauch, dass bei einem Totengedenken im Gottesdienst nach dem Verlesen der einzelnen Namen die ganze Gemeinde jeweils antwortet „presente“ - „anwesend, gegenwärtig“.

Die unterschiedlichen Bräuche machen eines deutlich: Die Toten sind nicht vergessen, mit ihrem Tod ist nicht alles aus. Papst Johannes XXIII. hat einmal gesagt: „Unsere Toten gehören zu den Unsichtbaren, aber nicht zu den Abwesenden.“ Das ist keine magische oder naive Vorstellung, sondern die große Hoffnung unseres Glaubens. Deshalb ist es gut, dass es diesen Totenmonat gibt. Er ist zumindest einmal im Jahr ein legitimer Ort, auch öffentlich die eigene Trauer zu zeigen. Im Gedenken an die Toten und an die eigene Sterblichkeit richtet sich der Blick auf das eigene Leben, auf das, was wichtig und was unwichtig ist.

Lothar Zenetti fragt in seinem Gedicht „Lied am Grabe“: „Niemand weiß, wie lange werden wir noch sein, morgen oder heute holt der Tod uns ein. Keiner kann uns helfen, jeder stirbt allein, und es bleibt am Ende nur ein Grab, ein Stein. Alle unsre Namen wird der Wind verwehn, oder ruft uns einer, dass wir fortbestehn?“ Der Totenmonat gibt uns eine Antwort darauf: Unser Leben verhallt nicht einfach. Es kommt neu zum Klingen im Leben schaffenden Ruf Gottes - im ewigen Leben.

Winfried Hierlemann Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Maria Königin in Kirchheim