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Geistliches WortWeg des Leids

Mit dem heutigen Gründonnerstag beginnt sehr dramatisch das eigentliche Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Jesus, von Angst gezeichnet, geht nach dem letzten Abendmahl mit drei Jüngern in den Ölgarten, um dort zu beten. Hier zittert Jesus vor Angst und hier wird er mit einem Kuss von Judas verraten und von den Knechten der Hohepriester abgeführt. Und morgen an Karfreitag werden wir wie kaum an einem anderen Tag auf den Sinn und Unsinn menschlichen Leids und Leiden geführt und stellen mit dem Gekreuzigten auch Fragen an Gott:

Wo bist du, Gott? Vielleicht wird die Frage nie so laut gestellt, wie nun in der Corona-Pandemie. Gerade aber im Blick darauf bleibt Gott anfragbar, kritisierbar, fragwürdig und die Glaubwürdigkeit an einen lieben Gott steht auf dem Spiel. So spricht der Pater in Albert Camus die „Pest“ vielen von uns aus dem Herzen, wenn sie nun jeden Tag die karfreitagsähnlichen Nachrichten hören. Er sagt: „Ich habe eine andere Vorstellung von Liebe. Und ich werde mich bis in den Tod hinein weigern, die Schöpfung zu lieben, in der Kinder durch die Pestseuche gemartert werden!“ Gott ist doch die Liebe - wir nennen ihn auch den lieben Gott. Warum dann jetzt solche Leiden, die die Corona-Pandemie uns zumutet? Eine Antwort blieb im Jahr 33 auf Golgotha aus. Auch Jesu Frage blieb unbeantwortet.

„Warum“, so schreit Jesus hinauf zum Himmel und hinein in unsere Welt. Jener Satz des 22. Psalms ist nicht der Schrei eines Einzelnen, sondern der Schrei der ganzen Welt, der ganzen Menschheit. „Warum hast du uns verlassen?“ Jesu Schrei war gefüllt mit der Qual des Leidens am Kreuz, aber auch mit dem Anklagen des leidenden Hiob, mit den Klagen der Psalmbeter, mit den Schreien des Volkes Israel in der Knechtschaft Ägyptens und in der Gefangenschaft in Babylon. Einen muss es geben, der in einer Stellvertretung Leid und Leiden auf sich nimmt, damit die unzähligen Leidenden nicht allein gelassen sind oder daran zerbrechen. Gott im Kreuzestod? Sicherlich - das reimt sich nicht.

Das Kreuz durchkreuzt unsere Gottesvorstellungen, wie die Erfahrungen des Leidens dem Glauben immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen und dennoch, so muss ich mich selbst jetzt fragen: Gibt es eine größere und menschlichere Antwort auf das Problem des Leidens als eben das Kreuz? Gott solidarisiert sich mit unserem Leid, damit wir Leid und Leiden, wenn auch schweren Herzens, tragen und ertragen können. Seit Christi Kreuz wissen wir zwar immer noch keinen Weg am Leid vorbei, aber wir wissen einen Weg hindurch und spüren, dass das Leid bei aller Gottverlassenheit Ort der Gottesbegegnung werden kann.

Franz Keil Pfarrer der kath. Kirche St. Ulrich in Kirchheim