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Handel wirbt mit Tierwohl, zahlt aber weniger an Bauern

Lebensmittel Siegfried Nägele vom Kreisbauernverband macht auf Ungereimtheiten aufmerksam.

Kreis. Doppelmoral - dieser Begriff zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch mit Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Esslingen. Die beginnt schon beim Thema Tiertransport. „Das wird nicht differenziert betrachtet. Mein Vater hat Zuchttiere nach Afrika verkauft, das geht heute nicht mehr“, erklärt er und betont, dass damit nicht die Schlachttiertransporte gemeint sind. Und schon ist das Essen im Fokus. „Essen verbraucht Ressourcen. Der Mensch braucht die Erde, die Erde aber nicht den Menschen“, sagt er. Die Fridays-for-Future-Bewegung ist für ihn ein Weckruf, mehr aber auch nicht. Heimische Obst- und Gemüseproduzenten finden nahezu nur ausländische Erntehelfer.

Siegfried Nägele kritisiert, dass bei der Landwirtschaft gerne in Gut und Böse eingeteilt wird. „Wir brauchen die Vielfalt, egal ob integriert oder biologisch produziert wird.“ Als konventioneller Landwirt hat er eine Affinität zu seinen Bio-Kollegen. „Ich bin der Letzte, der gegen Bio-Landwirte wettert, Regionalität ist wichtig. Wir müssen weg von der Vorwurfspolitik, denn wir Landwirte müssen uns entwickeln können und das produzieren, was die Situation vor Ort zulässt. Das müssen Politik und Gesellschaft akzeptieren und sich nicht am Mainstream orientieren“, fordert er.

Schon ist er beim Verdienst, der unter dem Mindestlohn liegt und daher ein großes Maß an Leidenschaft und Überzeugung bei den Bauern voraussetzt. Das durchschnittliche Einkommen pro Arbeitskraft und Jahr liegt bei 30 000 Euro vor Steuern. „Der Hauptprofiteur ist der Verbraucher. Etwa zwölf Prozent seines Einkommens gibt er fürs Essen aus“, zeigt er die Dimensionen auf. Deshalb reagiert er mit wenig Verständnis, wenn ihm und seinen Kollegen vorgeworfen wird, ohne Leistung EU-Fördergelder einzustreichen. „Das ist ein Affront für mich.“ Die gesellschaftliche Arroganz werde durch die politische ergänzt. „Wir versuchen einen Ablasshandel, indem wir die Lebensmittelproduktion ins Ausland verlagern und Nahrungsmittel importieren. 2021 wird weniger Essen erzeugt - Trockenheit in Kanada, den USA und Russland, Überflutungen in China -, als gebraucht wird. Aufs Essen müssen die verzichten, die kein Geld haben. Wir kaufen es uns und wollen hier die heile Welt haben“, so Nägele. 70 Prozent des Gemüses wird nach Deutschland importiert, 10 Prozent des Schweinefleischs exportiert. „Wenn die Wirtschaft exportiert, ist sie erfolgreich - wenn wir Landwirte exportieren, sind wir die Bösen.“ Derzeit liegt der Handelspreis für ein 100-Kilo-Schwein bei 130 Euro, es ist etwa acht oder neun Monate alt. „Die Lebensmittelhändler werben mit Tierwohl und uns Landwirten drücken sie den Preis - das passt nicht zusammen.“ Die Bauern würden sehr gerne beim Tierwohl mitmachen, aber der Markt gebe es nicht her.

„Die Menschen verstehen nicht mehr, was Landwirtschaft ist. Wir Bauern sind daher gefordert, es ihnen zu erklären“, sagt Siegfried Nägele und wünscht sich dafür Offentheit und die Bereitschaft zu sehen, welche Leistung durch seinen Berufsstand erbracht wird - neben der Lebensmittelproduktion von Milch, Getreide, Fleisch, Kartoffel und Co auch eine Kulturlandschaft, in der man sich gerne aufhält. Iris Häfner