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Hereinspaziert ins kollektive Gedächtnis

Geschichte Im Kirchheimer Archiv wird die Vergangenheit lebendig. Interessierte konnten sich im Rahmen einer Führung davon überzeugen. Von Helga Single

Das Archiv ist für die Öffentlichkeit zugänglich.Foto: Helga Single
Das Archiv ist für die Öffentlichkeit zugänglich.Foto: Helga Single

Meistens sind es Schulklassen, die er durch die alten Gemäuer von 1606 führt. Heute sind es interessierte Bürgerinnen und Bürger, die wissen wollen, wie es hier aussieht oder Erfahrungen in Ahnenforschung haben. „Das „Gedächtnis der Stadt“ sei auf geschichtsträchtigem Gelände untergebracht. Vom unabhängigen „Freien Hof“, der nicht Teil der Stadt Kirchheim oder Württembergs sein wollte, sondern reichsunmittelbar dem Kaiser unterstellt war, wandelt sich der Freihof nach 1820 zum Wollmarkt des ganzen Königreichs Württemberg und ist im Ersten Weltkrieg Kaserne. Danach war er immer Schule und mit kurzer Unterbrechung auch Jugendherberge. „Das Archiv habe also einen würdigen Platz gefunden“, findet Dr. Bauer.

Im Unterschied zu einem Museum gibt es eine rechtsstaatliche Funktion aller Archive, die Unterlagen der Stadtverwaltungen zu bevorraten haben, „falls rechtliche Fragen im Nachhinein der Klärung bedürfen“, erzählt er im Rahmen einer Führung, die auf das Wochenende zum „Tag des offenen Denkmal“ fällt. Seit 2017 ist er Herr über 1400 laufende Meter Akten, Bücher, Medienträger aller Art und entscheidet, was von gesellschaftlicher und his- torischer Bedeutung ins Archiv darf. Denn neben offiziellen Akten sind es Nachlässe von Vereinen, Firmen oder Privatpersonen, die persönliche Einblicke in eine Zeit oder ein bestimmtes Ereignis gewähren. Mehrere Meter Unterlagen umfassen die Debatten des Verschönerungsvereins über die Neugestaltung des Turmumbaus der Teck. Von rund auf eckig bis kompakt wurde jede Lösung überlegt, denn es gab keine historische Ansicht der im Bauernkrieg abgebrannten Burg.

Von unschätzbarem Wert seien die Nachlässe von Otto Lau und Carl Mayer sowie die Arbeiten von Thilo Dinkel zur Erforschung der Pfarrerdynastien. Ganz genau überlege er, was ins Archiv kommt, denn jedes Detail eines Nachlasses wird in Findbüchern verzeichnet. Kostbare Unikate, die oft genutzt werden, sind digitalisiert. „Zum Schutz der Objekte“ sei das wichtig, erklärt Dr. Bauer. Natürlich mache man sich Gedanken über eine Langzeitarchivierung und welcher Träger am besten sei. Der Rückblick zeige, dass Disketten, die Anfang der 90er-Jahre in Gebrauch waren, heute keine Lesegeräte mehr fänden. Auch sind Mikrofilme beständiger als Disketten, weiß man heute. „In diesem Zwiespalt befinden wir uns immer.“ Mit „Fressfallen“ rücke man ungeliebten Insekten auf den Leib und hoffe jedesmal, dass die Krabbeltiere, die drin sind, keinen Appetit auf Papier hätten. Luftbefeuchter und Klimageräte sorgen für kons- tantes Klima in den Räumen.

Die ältesten Dokumente stammen aus dem 14. Jahrhundert. Ein ganz besonderes „Schätzchen“ ist ein Fragment einer alten Gutenberg-Bibel, die auf einem Einband aus dem 16. Jahrhundert zur Verstärkung angebracht worden war. Neben „Inventuren und Teilungen“, die in früheren Zeiten Auskunft darüber gaben, wer was in die Ehe mitgebracht hat, befindet sich ein altes Impfbuch zur Pockenschutzimpfung in Kirchheim aus dem 19. Jahrhundert im Bestand, das durch die aktuellen Ereignisse moderne Brisanz erlangt hat. „Wer die alten Sachen lesen möchte, sollte sich vorher Kenntnisse der Paläographie aneignen“, empfiehlt der Fachmann, das erleichtere vieles.

Auch die Erstausgaben des Teckboten ab 1832 sind verzeichnet und alle Ausgaben bis heute archiviert. Historische Stadtpläne und alte Adressbücher sowie die Arbeiten zur Gebäudegeschichte der Innenstadt vom 16. bis zum 19. Jahrhundert von Rosemarie Reichelt lassen die Vergangenheit Kirchheims lebendig werden. Noch mehr Informationen liefern Einwohnermeldekarteien, für deren personengeschützten Daten eine Sperrfrist von mindestens zehn Jahren gilt oder die Person verstorben sein muss. Im nächsten Jahr ist ein Projekt in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und dem Landesamt für Denkmalpflege in Planung, das einen Band mit alten Plänen des Stadtkatasteramts ergeben wird. Für alle Interessierten ist das Archiv zu den üblichen Öffnungszeiten frei zugänglich. Eine Voranmeldung wird erbeten.