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Hölderlin bringt ein wenig Normalität

Kultur Das Nürtinger Stadtmuseum zeigt eine Sonderausstellung über die letzten Jahre des großen Dichters in der Stadt seiner Kindheit und Jugend. Klar wird auch die Bedeutung dieser Schaffensphase. Von Andreas Warausch

Die Geburtstagsgala konnte nicht stattfinden, und die Hölderlin-Gastspiele des Theaters Lindenhof werden auf kommendes Jahr verschoben: Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie haben auch vor den Festivitäten zum 250. Geburtstag des eng mit Nürtingen verbundenen Dichters Friedrich Hölderlin nicht halt gemacht. Bei allen Absagen gibt es aber auch eine gute Nachricht: Die große Sonderausstellung „Friedrich Hölderlin - Die letzte Nürtinger Zeit“ im Nürtinger Stadtmuseum ist eröffnet.

„Die Kultur hat es derzeit mit am schwersten“, weiß die Nürtinger Kulturamtsleiterin Susanne Ackermann. Sie lebe von der analogen Begegnung. Susanne Ackermann ist froh, dass die Ausstellung planmäßig starten konnte - wenn auch ohne den Vortrag des Hölderlin-Experten Michael Franz, Uni-Professor in Tübingen und Mitherausgeber der für die Hölderlin-Forschung bedeutenden „Texturen“-Reihe. Mit dessen Unterstützung haben Museumsleiterin Angela Wagner-Gnan und Stadtarchivar Reinhard Tietzen die Schau vorbereitet.

Auch Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich freut sich über das Stück „kultureller Normalität“. Die Zeit in Nürtingen zwischen 1801 und 1804 seien für das Schaffen Hölderlins zentral gewesen, geht der Oberbürgermeister auf die Ausstellung ein. Für Hölderlin selbst wäre es sehr wichtig gewesen wäre, dass sich die Nachwelt mit seinem dichterischen Werk auseinandersetzt. Das können Besucher im Stadtmuseum jetzt tun. Die letzten Jahre in der Stadt seiner Kindheit und Jugend, in die er stets zurückkehrte, waren für Hölderlin sehr produktiv - bei aller Zerrüttung und dem unaufhaltsamen Verfall.

In jenen Jahren in Nürtingen übersetzte Hölderlin den großen griechischen Dramatiker Sophokles. Dessen „Antigone“ wurde in der deutschen Literatur so beinahe zu Hölderlins Werk. Vor allem aber bearbeitete er die „Nachtgesänge“ zu Ende. Zu ihnen gehört mit „Hälfte des Lebens“ Hölderlins wohl berühmtestes Gedicht. Immer wieder schrieb er zu Hause bei seiner Mutter in der Kirchstraße 17 und nicht mehr im Hölderlinhaus, das nach einer grundlegenden Umgestaltung unter anderem eine neue, hochmoderne Dauerausstellung zu Hölderlin beherbergen soll.

Nicht vielen sei die Bedeutung dieser Schaffensphase bewusst, sagt Reinhard Tietzen. „Hölderlin wollte ein poetisches Gesamtwerk komponieren“, geht Kulturwissenschaftlerin Angela Wagner-Gnan auf die Werke und die Jahre ihres Entstehens ein. Eigentlich, so die Museumschefin, müsste das bekannte Homburger Folioheft, in dem auch die „Nachtgesänge“ überliefert sind, Nürtinger Folioheft heißen. Schließlich hätten Hölderlins Nachfahren sie dem Homburger Bibliothekar und Archivar Hamel nur ausgeliehen. Der aber habe ihre Rückgabe vergessen. So einfach wurde die Stadt also um literarische Lorbeeren gebracht. Diese zurückzuerobern ist da schon ungleich schwerer.

Geöffnet ist die Schau im Stadtmuseum bis 11. Oktober dienstags, mittwochs und samstags von 14.30 bis 17 Uhr sowie sonntags von 11 bis 18 Uhr.

Wer die Schau erobert, wird reichlich belohnt

Große Stellwände viel Text, wenige literarische Zeitzeugnisse in Papier und am Ende eine Animation: Die Ausstellung „Friedrich Hölderlin - Die letzte Nürtinger Zeit“ im Nürtinger Stadtmuseum muss „erobert“ werden. Wer dazu bereit ist, wird reichlich belohnt. Gezeigt wird der Dichter in seiner reifsten Schaffensphase und in seiner Zerrissenheit, wenig lebenstauglich, aber von großer Geisteskraft - rund ein Jahr, bevor sein Weg in die Tübinger Anstalt und den Turm führte. Ein Überblick über die Stationen:

Mit einem Albpanorama zur Ode „Rückkehr in die Heimat“ geht es los. Dann die erste Station: Wie war er eigentlich? Wie kann man den gut aussehenden, ehrgeizigen Sohn aus gutem Hause charakterisieren?

Der ausweglosen Liebe zur verheirateten Susette Gontard, deren Tod ein Meilenstein auf dem Weg in die geistig zerrüttete Einsamkeit darstellt, ist eine weitere Station gewidmet, ebenso wie dem innigen, aber angespannten Verhältnis Hölderlins zur Mutter.

Briefe sind Quellen, die den Zustand des 34-jährigen Hölderlin im Spannungsfeld zwischen schöpferischen Einsatz und Zerrüttung zeigen. Der brieflich besorgte Austausch großer Freunde wie Hegel und Schelling über dessen Zustand ist ebenfalls Thema.

Es folgt ein großer Ausstellungsteil zum Schaffen Hölderlins in jener Zeit. Zum Ende gibt es animierte Zitate zu Einschätzung und Bedeutung des Dichters - ehe Hölderlin selbst mit einem Bekenntnis zum Humanismus seinen Nachfolgenden eine Aufgabe überträgt.war