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Jetzt kommen die Bürger zu Wort

Stadtentwicklung Bei einer Podiumsdiskussion in der Schlossberghalle konnten Dettingerinnen und Dettinger Fragen zum geplanten Gewerbegebiet Hungerberg stellen. Davon wurde rege Gebrauch gemacht. Von Iris Häfner

Alle Stühle in der Schlossberghalle waren bei der Podiumsdiskussion zum regionalen Gewerbegebiet Hungerberg besetzt - wegen Corona allerdings in lichten Reihen, 60 Personen waren zugelassen. Das Thema Hungerberg brennt vielen Dettingern unter den Nägeln. 21 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche soll für Firmen mit Zukunftstechnologie bereits gestellt werden. Ob das passiert oder nicht, haben die Dettinger beim Bürgerentscheid am Tag der Bundestagswahl selbst in der Hand. Um sich eine Meinung über das komplexe Thema bilden zu können, gab es nach der Begehung auf dem Hungerberg mit Infoständen am vergangenen Wochenende nun die Infoveranstaltung in der Halle. Digital zu Hause mitverfolgt haben es gleichzeitig 100 Zuschauer in der Spitze. Es gab 339 Zugriffe - also 339 verschiedene Personen - und eine durchschnittliche Verweildauer von rund 47 Minuten.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung wies Moderator Professor Dr. Rafael Bauschke darauf hin, dass alle zwölf Podiumsteilnehmer negativ auf das Virus getestet worden waren und damit ohne Maske sprechen konnten. Jeder konnte ein Statement in fünf Sätzen abgeben - das fiel mal länger oder recht kurz aus. Es sollte vor allem auf die Fragen aus dem Publikum und an den Bildschirmen eingegangen werden. Tatsächlich kamen die Frager aus dem Saal zu Wort, laut Moderator hatten die Fragen via Internet ähnliche Inhalte.

Das ein oder andere Mal geriet die Frage jedoch in den Hintergrund - es wurde hauptsächlich ein Statement abgegeben. Es gab aber auch diejenigen, die nachfragten, was ihnen unklar war. Ihnen allen gemein: leidenschaftliche Dettinger, die gerne in diesem Ort leben, sei es seit 10 oder 66 Jahren. Letzterer hat drei Enkel und will, dass sie später ortsnah eine Ausbildung finden.

Das Argument der Arbeitsplätze zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussion. Der Wohlstand soll erhalten bleiben. Der Konflikt dabei: Wie ihn erhalten und trotzdem in schöner Natur in bezahlbaren Wohnungen leben zu können. Ein Bürger, der seine Wurzeln in Sachsen hat, empfand die Diskussion darüber, ob freie Fläche überbaut werden darf oder nicht, als ein Luxusproblem: „Mit vollen Windeln lässt es sich gut stinken,“ wurde er deutlich.

Dann der Name Hungerberg. Immer wieder wird er dahingehend interpretiert, dass die Böden von minderer Qualität sind. Das sei nicht der Fall. Die Hälfte der 21 Hektar seien „starke, gute Böden“ wie Christian Küpfer vom Büro „StadtLandFluss“ erklärte. Die Fläche ist jedoch auf ein Viertel wegen der ICE-Baustelle geschrumpft.

Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands, brachte einen ganz anderen Blickwinkel ins Spiel: „Dorthin ging man, wenn man Hunger hatte.“ Er fand deutliche Worte, was den permanenten Flächenverbrauch im Landkreis Esslingen angeht. „Seit 16 Jahren als Kreisbauern-Vorsitzender höre ich: Das ist der letzte Hektar, den wir brauchen und überbauen wollen. Es muss jetzt endlich einmal Schluss sein.“ Jedes Jahr würden 100 Hektar im Kreis Esslingen neu überbaut, was einem Prozent der Fläche entspricht. Zielsetzung müsse sein, im Bestand die Gewerbeflächen zu schaffen. „Das kann man erreichen - das kriegen wir hin.“ Es fehle aber leider die Regie der Raumplanung.

Den einzigen Applaus gab es für einen Redner, der die Bürgerinitiative für ihr Engagement lobte. „Es ist nicht selbstverständlich, dass wir heute hier sind“, sagte er und war dankbar über die Informationsmöglichkeiten. Er machte sich Sorgen über die Geringverdiener, die schon jetzt Arbeitssuchende mit wenig Aussicht auf eine Stelle seien. Am Hungerberg würden nur bestens ausgebildete Fachkräfte gebraucht. Von etwa 1000 Arbeitsplätzen ist derzeit die Rede, wobei niemand weiß - weder Bürgermeister Haußmann noch die Region Stuttgart - welcher Betrieb sich ansiedeln wird. „Wir würden es Ihnen liebend gerne sagen, wenn wir es wüssten“, sagte Walter Rogg, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, und brachte Namen wie Bosch, Festo und Eberspächer ins Spiel. Das Automobil werde künftig nicht mehr diesen großen Stellenwert wie jetzt besitzen. Medizinfirmen könnten diese Lücke füllen oder Betriebe, die sich mit Bioökonomie befassen.

Die Bürgerinititative befürchtet wegen des neuen Gewerbegebiets mehr Verkehr und steigende Wohnpreise in Dettingen.

Info Die Podiumsdiskussion wurde aufgezeichnet und steht auf der Homepage der Gemeinde Dettingen zum Anschauen zur Verfügung. Der Link: „Hungerberg - Podiumsdiskussion from hybrid-meeting.de on Vimeo“. Die Verwaltung ist zudem dabei, die Fragen, die bei der Hungerberg-Begehung schriftlich gestellt wurden, zu „clustern“, also zu bündeln. Viele Fragen würden sich ähneln oder sind inhaltsgleich. Eine Beantwortung wird durch die Gemeinde und die Bürgerinitiative erfolgen. Die Verwaltung will die Zusammenfassung und die Antworten für alle Fragen in schriftlicher Form vorlegen. Durch die Aufarbeitung und all den Fragen bei der Infoveranstaltung - einschließlich der, die online gestellt und mangels Zeit nicht mehr beantwortet werden konnten - sind die Infos dann für alle zugänglich.