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Keine Luftfilter für Weilheims Schulen

Corona Die Stadt und die Schulleiter haben sich ganz bewusst gegen Luftreinigungsgeräte in den Klassenzimmern entschieden. Sie setzen stattdessen auf regelmäßiges Lüften. Von Bianca Lütz-Holoch

Fenster auf, heißt es an der Grundschule in Weilheim mindestens alle 20 Minuten.Foto: Jean-Luc Jacques
Fenster auf, heißt es an der Grundschule in Weilheim mindestens alle 20 Minuten.Foto: Jean-Luc Jacques

Viele Eltern blicken mit Sorge auf den nächsten Herbst und Winter in Zeiten der Corona-Pandemie. So auch in Weilheim. Eine Mutter, deren Sohn im September eingeschult wird, hat nun in der Bürgerfragestunde der Weilheimer Gemeinderatssitzung nachgehakt, welche Vorkehrungen an Weilheimer Schulen ­getroffen werden, um Präsenzunterricht nach den Sommerferien im Herbst zu ermög­lichen - ­insbesondere für Grundschüler, für die digita­les Lernen nur begrenzt möglich ist. Die Antwort darauf: Lüften, lüften, lüften. Luftfiltergeräte jedenfalls wird es in den Weilheimer Klassenzimmern nicht geben.

„Das Land Baden-Württemberg und der Gemeindetag empfehlen, Luftfiltergeräte für nicht oder schlecht lüftbare Klassenräume anzuschaffen“, sagt Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle. „Wir haben das schon 2020 überprüft und festgestellt, dass wir keine nicht oder schlecht lüftbaren Klassenräume haben.“ An der Sachlage habe sich seither nichts verändert, so Züfle. Deshalb stehe für ihn fest: „Es gibt keinen Handlungsbedarf in Weilheim.“

Das sieht übrigens nicht nur der Bürgermeister so. Auch die Rektoren der Real-, Werkreal- und Grundschule sind mit ihm einig. „Wir halten Luftfiltergeräte für nicht sinnvoll“, sagt die Leiterin der Limburg-Grundschule, Eileen Müller. Zu dem Schluss ist sie nach intensiver Recherche und einem Testlauf mit einem Luftfiltergerät gekommen. Gründe gibt es dafür gleich mehrere. Die hat Eileen Müller auch in einem Brief an die Eltern zusammengefasst. „Mobile Lüftungsgeräte sind nicht als Ersatz, sondern allenfalls als Ergänzung zum aktiven Lüften geeignet“, betont sie. „Selbst die hochwertigsten Anlagen ersetzen das Lüften, das Tragen von Masken sowie das Testen nicht.“ Bei dem Probelauf hätten nicht nur trotz Luftfilter die CO2-Messegräte nach rund 20 Minuten angeschlagen. Die Anlagen seien von Lehrern und Schülern auch als störend empfunden worden. „Sie sind laut und es entsteht Zugluft.“ Dazu kommt, dass die Luftfilter groß sind und in der Mitte des Raums stehen müssen, um ideal arbeiten zu können. Meist reicht auch ein Exemplar pro Raum nicht aus. „Die Kinder haben keine freie Sicht mehr“, kritisiert Eileen Müller.

Stoßlüften funktioniert gut

Auf die kalte Jahreszeit fühlt sie sich auch ohne Luftreiniger so gut vorbereitet, wie es in Pandemiezeiten nun mal geht. „Die Klassenräume in der  Limburg-Grundschule lassen sich hervorragend lüften“, sagt sie. Das Stoßlüften alle 20 Minuten habe schon in der Vergangenheit gut funktioniert. Weil es im Winter dank der großen Fenster in den Klassenzimmern und Fluren reiche, für fünf Minuten Frischluft hereinzulassen, würden die Räume auch nicht auskühlen. „Die Kinder frieren nicht“, so Eileen Müller.

Um allein die Limburg-Grundschule mit ihren 22 Klassenräumen, dem Ganztags- und Kernzeitbereich mit Luftfiltern auszustatten, wären Investitionen von 100 000 Euro notwendig, rechnet Müller vor. Für die Werkreal- und Realschule kämen noch einmal rund doppelt so viele Räume dazu.

Mit der Strategie, auf Luftfilteranlagen zu verzichten, sind nicht alle glücklich. „Es gibt Eltern, die hätten gerne Luftfilter, andere wiederum nicht“, sagt Sandra Rodriguez, Elternbeiratsvorsitzende an der Limburg-Grundschule. Zu dem Thema hatte es bereits eine von Eltern initiierte Unterschriftenaktion an der Grundschule gegeben. Sie war in der Elternschaft der Schule allerdings auf geteiltes Echo gestoßen. Keine Anfragen zur Anschaffung von Luftfiltern hat die Gesamtelternbeirats-Vorsitzende Simone Annerl-Birkenmaier erhalten. Aus ihrer Sicht gibt es auch keinen Handlungsbedarf. „Die Stadt hat ja am Bildungszentrum Wühle in die Fenster investiert. Jetzt lässt sich auch jedes Klassenzimmer lüften“, sagt sie. Sie führt zudem den Gerechtigkeitsaspekt an: „Es hilft ja nicht, ein paar wenige Geräte anzuschaffen - und die Kos­ten, um alle Klassenzimmer auszustatten, sind zu hoch.“ ​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​

Kontroverse Diskussion um Luftreinigungsgeräte

Limburg Grundschule mit alter Turnhalle
Limburg Grundschule mit alter Turnhalle

Der Nutzen von Luftfiltern ist nach wie vor umstritten. So kommen unterschiedliche Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zuletzt war eine von der Stadt Stuttgart in Auftrag gegebene Studie des Instituts für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung der Universität Stuttgart bekannt geworden. Ihr zufolge ist regelmäßiges Stoßlüften - sofern die Fenster groß genug sind - mindestens ebenso effektiv wie Luftfiltergeräte. Veröffentlicht worden ist die Studie noch nicht.

Das Bundesumweltamt empfiehlt Luftreinigungsgeräte ebenfalls nur für Räume mit eingeschränkten Lüftungsmöglichkeiten. In gut zu lüftenden Räumen sei ihr Einsatz „nicht notwendíg“. Die beste Maßnahme zur Verbesserung der Raumluft sind fest ins Gebäude eingebaute raumlufttechnische Anlagen (RLT-Anlagen). Sie kommen aber als schnelle Lösung in bestehenden Gebäuden aufgrund der hohen Kosten und des enormen baulichen Aufwands kaum in Frage.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert, für alle Klassenräume in Deutschland Luftfilter anzuschaffen. Sie seien für einen gesicherten Präsenzunterricht wichtig, ebenso wie ein tragfähiges Hygienekonzept und regelmäßige Tests. 

Bundesweit laufen auch Petitionen zum Thema. Unter anderem fordert ein Schorndorfer Kinderarzt als Mitinitiator einer Petition die Bundesregierung auf, Luftfilter in den Schulen einzubauen. „Unterstützt unsere Kinder endlich im selben Maße, wie ihr die Wirtschaft unterstützt“, lautet der Appell. Unterzeichnet haben bislang über 66 000 Personen.

Das Land Baden-Württemberg will den Schulen im Rahmen eines Förderprogramms 60 Millionen Euro für Luftfilter zur Verfügung stellen. So sollen die Kommunen als Schulträger finanziell entlastet werden. bil