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Kleine Nager bringen gefährliche Viren

Gesundheit Weil sich die Rötelmaus wegen der „Buchenmast“ im vergangenen Jahr stark vermehren konnte, steigt im Landkreis das Infektionsrisiko mit dem Hantavirus. Der Nager ist einer der Hauptüberträger. Von Thomas Krytzner

Schauen putzig aus, sind aber gefährliche Überträger: Zwei Rötelmäuse. Foto: Hlasek
Schauen putzig aus, sind aber gefährliche Überträger: Zwei Rötelmäuse. Foto: Hlasek

Seit Jahresbeginn sind im Kreis Esslingen 56 Fälle von Hantavirus-Infektionen gemeldet. „Der Jahres-Spitzenwert seit Einführung der Meldepflicht lag bei 134 Fällen im Jahr 2012“, sagt Dr. Albrecht Wiedemann, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin beim Gesundheitsamt in Plochingen. Von den bislang gemeldeten Fällen wurden bislang bereits 32 im Krankenhaus behandelt. Todesfälle seien aktuell keine bekannt. Der Mediziner präzisiert: „41 Patienten sind männlich, 15 weiblich, was der typischen Geschlechterverteilung entspricht. Auch die Altersverteilung entspricht dem gewohnten Bild mit einem Gipfel bei den 40- bis 60-Jährigen“.

Hantavirusfälle treten geografisch betrachtet hauptsächlich im Bereich Schwäbische Alb, Filder­ebene, Schönbuch und im Neckartal auf. „Eher selten betroffen sind die Gemeinden auf der Schurwaldhöhe, obwohl dort auch viele Rötelmäuse vorkommen“, sagt Albrecht Wiedemann. Die starke Vermehrung der Rötelmäuse geht auf ein Wetterphänomen über dem Nordatlantik zurück: Die Oszillation über dem Ozean wirkt dabei wie ein Taktgeber für Buchen, Kastanien und andere Laubbäume, die besonders viele Samen produzieren. Das vergangene Jahr war ein sogenanntes „Mastjahr“, es gab viele Samen und damit konnten sich die kleinen Nager über einen reich gedeckten Tisch freuen und vermehrten sich überproportional.

Mundschutz hilft nur bedingt

Man könnte annehmen, dass ein allgemeiner Mund- und Nasenschutz wie beim Coronavirus auch vor dem Hantavirus schützt. Albrecht Wiedemann betont aber: „Die Hantaviruserkrankung ist so gut wie gar nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Die Ansteckung erfolgt bei uns hauptsächlich über Staub, der die Exkremente von Rötelmäusen enthält.“ Dies bestätigt auch Josephine Palatzky, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart: „Erhöhtes Infektionsrisiko besteht bei Tätigkeiten, bei denen Staub aufgewirbelt werden kann. Dies betrifft vor allem Holzarbeiten im Wald und Garten und die Reinigung von Kellern, Schuppen, Scheunen und Ställen.“ Die Übertragung erfolge in der Regel über das Einatmen von an Staubpartikeln gebundenen Krankheitserregern.

Einen Schutz gegen das Hantavirus gibt es derzeit nicht: „Aktuell steht weder ein Impfstoff noch eine Therapie zur Verfügung“, sagt sie. Um sich vor einer Infektion zu schützen empfiehlt Josephine Palatzky, Kontakt mit Ausscheidungen von Nagern zu vermeiden. „Das Befeuchten von Flächen vor Reinigungsarbeiten bindet Staub. Eine Entsorgung zuvor desinfizierter Nagerausscheidungen vermindert das Expositionsrisiko.“ Sie rät in bestimmten Situationen doch zu einer Maske: „Es wird außerdem empfohlen zum Schutz gegen Hantaviren, beim Schuppenfegen und ähnlichen Tätigkeiten eine Staubmaske zu tragen.“

Das Hantavirus hat es im Landkreis in diesem Jahr unter die drei häufigsten Vorkommen der meldepflichtigen Krankheitserreger geschafft, bestätigt Albrecht Wiedemann: „Corona liegt mit 13 000 Fällen in diesem Jahr an der Spitze. Auf Platz zwei liegt bei den Virus­erkrankungen momentan die Hepatitis B mit 66 Fällen, gefolgt vom Hantavirus mit 56 Fällen, Hepatitis  C mit 18 Fällen und dem Rotavirus mit 14 Fällen.“ Er erinnert sich an „ruhigere“ Zeiten beim Gesundheitsamt: „Während in den fünf Jahren vor Corona im Schnitt zwischen 1 500 und 2 500 Meldungen über Viruserkrankungen bearbeitet werden mussten, waren es im Vergleich im Jahr 2020 rund 15 000 Fälle.“ Die Vorhersage für die Zahl der Hantavirus-Ansteckungen ist düster: „Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Zahl für 2021 noch verdoppelt, da der Gipfel der Häufigkeitsverteilung von Hantavirus-Erkrankungen in Baden-Württemberg meist im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte Juni liegt“, erläutert Albrecht Wiedemann den weiteren Verlauf. Mit diesen Aussichten vergeht vermutlich noch einige Zeit, bevor man die Schutzmaske, zumindest bei staubigen Arbeiten im häuslichen Bereich, endgültig ablegen kann.

Auflistung sämtlicher meldepflichtigen Viruserkrankungen im Landkreis Esslingen pro Jahr, seit 2001 bis heute.
Auflistung sämtlicher meldepflichtigen Viruserkrankungen im Landkreis Esslingen pro Jahr, seit 2001 bis heute.