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Lungensport gegen Long-Covid

Pandemie Das Klinikum Esslingen bietet als erstes Krankenhaus in der Region Stuttgart spezielle Kurse für ­Long-Covid-Patienten an. Trainer zeigen, wie die Langzeitfolgen bekämpft werden können. Von Katja Eisenhardt

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Das Esslinger Klinikum hat als erste Klinik in der Region Stuttgart ein Lungensportangebot für Menschen entwickelt, die nach überstandener Covid-19-Infek­tion unter Langzeitfolgen leiden. „Wir sehen viele Patienten, die an den Folgen der Erkrankung leiden. Das können Erschöpfung, Müdigkeit, verminderte Belastbarkeit, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsstörungen oder Luftnot sein“, sagt die Oberärztin und Pneumologin Vera Wienhausen-Wilke. Deshalb habe sie für diese Zielgruppe in Zusammenarbeit mit der Geriaterin Ulrike Wortha-Weiß und zwei weiteren Ärzten eine spezielle Lungensportgruppe eingerichtet. „Der Lungensport ist eine hervorragende Möglichkeit für Patienten mit anhaltenden Einschränkungen nach Covid-19-Erkrankungen, ihre Fitness und Belastbarkeit wieder aufzubauen“, so Wienhausen-Wilke.

Ein lizenzierter Lungensporttrainer führt durch das Angebot, das als Reha-Sport gilt. Die Teilnehmenden lernen verschiedene Atemtechniken und Übungen zur Kräftigung der Atemmuskulatur, des gesamten Oberkörpers sowie zur Dehnung des Brustkorbs. Auch die Ausdauer wird sanft trainiert. „Es sind Techniken, die sich in den Alltag gut einbinden lassen“, erklärt der Trainer Markus Niepel.

Eine der Teilnehmerinnen ist Gunda Sikora aus Nürtingen. „Anfangs ging es mir gar nicht so schlecht. Ich dachte, ich ­hätte noch Glück im Unglück und ­einen harmlosen Verlauf“, erinnert sie sich. Zwei Tage vor dem Ende der Quarantäne verschlechterte sich ihr Zustand plötzlich drastisch: „Ich habe kaum noch Luft bekommen. Da kriegt man es dann mit der Angst zu tun.“ Die Atemprobleme halten bis heute an, ein ständiger trockener Hustenreiz macht der 60-Jährigen zusätzlich zu schaffen. Auch ihr Geschmacks- und Geruchssinn sind noch nicht zurückgekehrt. Bis heute ist Gunda Sikora krankgeschrieben. Seit Ende August besucht sie die Lungensportgruppe am Klinikum. „Ich hoffe, es wird dadurch wieder“, sagt sie. „Aufgeben ist einfach keine Option.“

Auch der 67-jährige Esslinger Wolfram Gräber nimmt an dem Kurs von Markus Niepel teil. Ihn hatte es im Herbst 2020 erwischt. Wo er sich angesteckt hat, wisse er nicht, so Gräber. Zwei Wochen musste er stationär ins Krankenhaus. „Auf der Intensivstation war ich nicht, aber viel hat nicht mehr gefehlt bis zur Beatmung.“ Lungen-Fibrose lautet nun die Diagnose, eine chronische Erkrankung, die mit Veränderungen des Lungengewebes einhergeht. Die Belastbarkeit und Ausdauer im Alltag seien bis heute deutlich eingeschränkt, berichtet der 67-Jährige. Derzeit finden zwei Lungensportgruppen für ehemalige Covid-19-Patienten statt - reguläre Lungensportgruppen gibt es bereits seit 2016 am Klinikum. Die Oberärztin und Pneumologin Vera Wienhausen-Wilke hofft, dass das Angebot den Leidensweg der Teilnehmenden verkürzt. „Patienten, die den teils langen Leidensweg einer chronischen Lungenerkrankung oder die anhaltenden Folgen einer Corona-Infektion durchlaufen, stecken oft in einer Art Teufelskreis: Durch die ständige Atemnot und die dadurch geringere Belastbarkeit kommt es zu einer Vermeidungshaltung. Aus Angst vor der Luftnot traut man sich gar nicht mehr, sich viel zu bewegen, rauszugehen. Das kann schnell zur Isolation führen“, sagt die Oberärztin. Dabei sei gerade die Bewegung für Lungenkranke essenziell wichtig, denn die Lungenmuskulatur bilde sich sehr schnell zurück, was zu den massiven Beschwerden führe.

Gerade für die Betroffenen einer Corona-Infektion seien die teils drastischen Folgen meist etwas völlig Neues. „Da ist plötzlich diese Zerbrechlichkeit, obwohl man davor gesund und fit war. Das macht Angst“, so Vera Wienhausen-Wilke. Der Lungensport könne hier eine deutliche Verbesserung des Allgemeinzustands bewirken: „Es ist eine Hilfe zur Selbsthilfe.“ Nur wer regelmäßig trainiere, habe gute Chancen, zu seinem ursprünglichen Zustand zurückzukehren.

Seit der dritten Welle liegen im Klinikum nach eigenen Angaben vor allem Ungeimpfte, darunter viele Jüngere. In den Kursen von Markus Niepel sind die Teilnehmer jedoch noch höheren Alters. Derzeit seien sie zwischen 43 und über 70 Jahre alt, sagt der Trainer. Je nach gesundheitlichem Status und der individuellen Belastbarkeit sollen die Gruppen künftig aufgeteilt werden. „Es kann jeder mitmachen - niemand braucht Sorge vor Überlastung zu haben“, betont Niepel.

Trainer Markus Niepel (rechts) zeigt Patienten, wie sie mit einfachen Übungen ihre verminderte Belastbarkeit überwinden können.F
Trainer Markus Niepel (rechts) zeigt Patienten, wie sie mit einfachen Übungen ihre verminderte Belastbarkeit überwinden können.Foto: Katja Eisenhardt