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„Man muss die Menschen mitnehmen“

Wahl Zum sechsten Mal kämpft der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich um das Direktmandat – und bangt erstmals ein wenig. Von Irene Strifler und Frank Hoffmann

Nach zwölf Jahren große Koalition, unterbrochen durch vier Jahre schwarz-gelb, schließt CDU-Mann Hennrich das Weiterregieren mit
Nach zwölf Jahren große Koalition, unterbrochen durch vier Jahre schwarz-gelb, schließt CDU-Mann Hennrich das Weiterregieren mit der SPD aus. Übereinstimmungen sieht er mit der FDP.Fotos: Markus Brändli

Michael Hennrich ist der dienstälteste Bundestagsabgeordnete im Kreis und mit seiner Partei seit Merkels Kanzlerschaft in Regierungsverantwortung. Wenn es nach ihm geht, ändert sich das auch nicht: „Laschet steht mit seinem Zukunftsteam für eine neue Politik“, bekennt sich der Kirchheimer zum eigenen bekanntlich nicht unumstrittenen Kanzlerkandidaten und schiebt einen Treuebeweis nach: „Diese Wahl gewinnen oder verlieren wir zusammen.“ Derzeit liege „Mehltau“ über Berlin, und auch wenn Merkel eine „tolle Kanzlerin“ war, sei ein Wandel notwendig. Den bringe auf keinen Fall eine Fortsetzung der großen Koalition.

Hennrichs Gesamtbilanz fällt positiv aus, dennoch räumt er selbstkritisch „eklatantes Politikversagen“ in der jüngsten Vergangenheit ein, etwa beim Abzug aus Afghanistan und dem Zurücklassen der Ortskräfte. Man habe geglaubt, Entscheidungen über das weitere Vorgehen könne man bis nach der Wahl vertagen, kritisiert er vor allem SPD-Außenminister Maas, aber auch das CSU-geführte Innenministerium.

Auf Corona blickt der Gesundheitspolitiker mit gemischten Gefühlen. Immerhin: Das wichtigste zentrale Versprechen, dass jeder bis Sommer ein Impfangebot erhalte, konnte eingelöst werden. „Wir hatten in Deutschland in der ersten Phase zwar stets eine angespannte Situation in den Kliniken, aber das Gesundheitswesen hat funktioniert, und wir hatten relativ betrachtet die niedrigsten Todeszahlen“, unterstreicht er. Deshalb habe man sich vor der zweiten Welle wohl zu sehr in Sicherheit gewiegt. Für die Zukunft setzt Hennrich auf Zeit. „Man muss die Leute mitnehmen“, plädiert er beim Impfen für Überzeugungsarbeit statt Zwang. Sinnvoll sei, Corona-Tests entgegen dem derzeitigen Beschluss mindestens bis in den Frühling hinein kostenlos durchzuführen.

Als Gesundheitsexperte ist der Abgeordnete auch Ansprechpartner in Sachen Pflege. Hier habe sich einiges getan, führt er aus und verweist auf bessere Bezahlung und höheren Personalschlüssel. Am Nebentisch kann da eine Zuhörerin nicht mehr an sich halten: „Theorie und Praxis!“, wirft sie ein. Ganz klar: Das Thema brennt Betroffenen vor Ort auf den Nägeln. Hennrich räumt ein, dass der Personalschlüssel in der Pandemie außer Kraft gesetzt wurde, aber bald wieder eingehalten werden müsse. Zudem sei ein Job in der Pflege ein sicherer Job - auch ein Vorteil.

Die Sicherheit des Arbeitsplatzes angesichts neuer Technologien ist bei seinen Gesprächen in der Region der Dauerbrenner: „Wir brauchen den Wandel in der Region, um neue Arbeitsplätze zu schaffen“, betont der Christdemokrat und ergänzt mit Blick auf den umstrittenen Dettinger Hungerberg: „Den Wandel kann man nicht ausschließlich mit bestehenden Flächen hinkriegen.“ Gefreut hat er sich, dass Merkel auf der IAA demonstrativ an der Technologieoffenheit festgehalten habe. Viele seien immer noch vom Verbrennungsmotor überzeugt. Im Übrigen überschlügen sich derzeit die technologischen Innovationen.

Ebenfalls auf der Überholspur befinden sich die Preise für Mieten und vor allem für Wohneigentum. „Wir müssen Anreize zur Innenverdichtung setzen und lieber in die Höhe als in die Breite gehen“, nennt der Politiker Ziele, die nicht neu sind. Den Gedanken von Enteignungen weist er weit von sich. Ohnehin regelt ihm der Staat zu viel. Jüngstes Beispiel sei das Gesetz zum Anspruch auf Homeoffice. „Das ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers!“, kann er kaum fassen, warum das Thema nicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geklärt wird, notfalls mithilfe der Gewerkschafen. Vielerorts sei weniger Staat besser, denn das „überbordende Regelungsbedürfnis“ verlangsame viele Entwicklungen. Auch im Gesundheitswesen spricht er sich fürs Kostenerstattungsprinzip aus: Der Patient erhält die Rechnung für Behandlungen und bekommt das Geld seinerseits von seiner Kasse. Das schaffe Transparenz und reduziere Bürokratie. Hennrich setzt nach vielen Jahren in der Gesundheitspolitik auf das Ideal des „aufgeklärten Patienten, der sich um sich selbst kümmert“.

Alles in allem hat der CDU-Mann großes Vertrauen in die Politik seiner Fraktion und geht deshalb auch demonstrativ selbstbewusst in die Wahl. „Die CDU hat in schwierigen Phasen immer die richtigen Entscheidungen getroffen“, meint er und verweist beispielhaft auf die Wiedervereinigung oder die Flüchtlingswelle im Jahr 2015. „Wir kämpfen bis zum letzten Tag“, meint der alte Hase, der weiß, dass Umfragen noch lange keine Wahlen sind.

Auch für ihn selbst wird es spannender denn je: 2013 holte er das Direktmandat mit über 50 Prozent der Erststimmen. 2017 waren es 39,4 Prozent. Die Kollegen treten alle drei wieder an. Der Vorsprung vor ihnen, die im Gegensatz zu Hennrich alle über die Landesliste abgesichert sind, ist ansehnlich - nächs- ter ist SPD-Mann Nils Schmid mit 19 Prozent der Erststimmen. Das Polster dürfte der CDU-Kandidat auch brauchen, orientiert sich doch das Ergebnis der Erststimmen am Bundestrend, weniger an der Arbeit des Abgeordneten. „Ich selbst bin im Laufe der Jahre immer besser geworden“, unterstreicht er augenzwinkernd seine langjährige Expertise.

Der CDU-Abgeordnete Michael Hennrich - politisch und privat

Der Talk mit Michael Hennrich und dem Teckboten fand auf dem Lenninger Sulzburghof statt.
Der Talk mit Michael Hennrich und dem Teckboten fand auf dem Lenninger Sulzburghof statt.

Michael Hennrich kam 1965 in Balingen zur Welt und lebt mit seiner Frau Anja in Kirchheim. Das Paar hat zwei erwachsene Söhne. Nach dem Abitur in Wendlingen und dem Grundwehrdienst studierte er Rechtswissenschaften und war ab 1995 als selbstständiger Rechtsanwalt tätig.

Mitglied des Deutschen Bundestags ist Hennrich seit 2002, er wurde 2005, 2009, 2013 und 2017 als Direktkandidat wiedergewählt. Einen Namen gemacht hat er sich unter anderem als Obmann im Ausschuss für Gesundheit als als Berichterstatter für den Bereich Arzneimittelversorgung und Apotheken. Ehrenamtlich engagiert ist Hennrich vielfältig, zum Beispiel bei Haus & Grund auf verschiedenen Ebenen.

Abschalten kann Hennrich vor allem im Urlaub, aber auch bei einer Partie Backgammon. Sonntags ist Tatort angesagt, samstags Fußball, wobei das Interesse besonders dem VfB Stuttgart und Arminia Bielefeld (Hennrichs Frau kommt von dort) gilt. Hennrich geht gern joggen, wandern und schwimmen oder fährt auch mal Rad. Ferner kann man ihn auf Konzerten aller Art von Jazz über Rock und Pop bis hin zu Klassik. Sein Beitrag zur Hausarbeit ist der Einkauf, wobei er längst die Vorlieben aller Familienmitglieder kennt.tb