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Mehr Geld für Pflege - nur woher?

Bundestagswahl Die Absicherung einer Gesellschaft, die immer älter wird, ist eine der drängendsten Aufgaben einer neuen Regierung. Die sechs Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Wahlkreis liefern Ideen. Von Bernd Köble

Liebevolle Pflege im Alter ist das, was sich jeder wünscht. Wo eine Familie dies nicht bieten kann, ist professionelle Hilfe gef
Liebevolle Pflege im Alter ist das, was sich jeder wünscht. Wo eine Familie dies nicht bieten kann, ist professionelle Hilfe gefragt.Symbolfoto

Zu wenig stationäre Heim- plätze, Kosten, die für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht mehr zu schultern sind und Schwarzarbeit als einzige Alternative - dass sich in der Pflege in Deutschland dringend etwas ändern muss, darüber sind sich die Bewerberinnen und Bewerber um ein Bundestagsmandat im Wahlkreis einig. Über den richtigen Weg dorthin gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Michael Hennrich (CDU) will vor allem den Pflegeberuf durch bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen attraktiver machen. Darin sieht der Berliner Gesundheitsexperte eine der größten Herausforderungen. Er verweist auf 13 000 zusätzliche Stellen in der stationären Pflege, die die aktuelle Regierung zuletzt finanziert habe. Hennrich will aber auch an der 24-Stunden-Betreuung zu Hause festhalten. Er sagt: „Das hat über Jahrzehnte gut funktioniert.“ Dass es sich dabei in den allermeisten Fällen um Schwarzarbeit handelt, dem widerspricht der Abgeordnete. Viele Arbeitsverhältnisse liefen regulär über Agenturen. Deshalb bedauert er das Urteil des Bundesarbeitsgerichts von Juni. Was die Finanzierung angeht, sagt Hennrich: „Eine Bürgerversicherung löst die Probleme definitiv nicht.“ Er plädiert stattdessen für betriebliche Zusatzversicherungen und eine anteilige Steuerfinanzierung, sagt aber auch: „Die Pflegeversicherung ist kein Erbenschutzprogramm.“ Ein Teil der Kosten werde individuell getragen werden müssen, wolle man die Beiträge stabil halten.

Nils Schmid (SPD) spricht sich ebenfalls für eine Stärkung der häuslichen Pflege aus. Er sagt allerdings: „Wir müssen sicherstellen, dass alle, die dort arbeiten, einen angemessenen Lohn erhalten - egal woher sie kommen.“ Deshalb hält er das Urteil des Arbeitsgerichts für wegweisend. Schmid möchte die Pflege durch Angehörige attraktiver machen. Er fordert Lohnersatzzahlungen über 15 Monate, wenn Familienmitglieder beruflich kürzertreten, um einen Angehörigen zu pflegen. Gleichzeitig sollten Pflegezeiten im Rentenrecht gleich behandelt werden wie Erziehungszeiten. Bei der Finanzierung spricht sich Schmid für eine Bürgerversicherung aus, in die auch Selbstständige und Beamte einzuzahlen hätten. „Pflege ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft“, sagt er. Kostensteigerungen müssten mit einem Mix aus moderat steigenden Beiträgen und einem dynamischen Zuschuss des Bundes ausgeglichen werden.

Für Matthias Gastel (Grüne) bedeutet Pflegepolitik, den Wunsch der Menschen, im Alter zu Hause bleiben zu wollen, ernst nehmen. Nicht immer sei dafür eine 24-Stunden-Betreuung nötig, sagt er. Alternativen, auf die er setzt: ambulante Wohn- und Pflegeformen, entlastende Angebote wie Tages-, Kurzzeit- und Verhinderungspflege oder auch neue Pflege-Wohngemeinschaften. In anderen Worten: Das Leben in einem Quartier für alle Generationen lebenswerter machen. „Wichtig ist, dass alle diese Angebote in ein Umfeld eingebettet sind, die Menschen im Alter die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sicherstellt“, sagt Gastel. Dabei gelte es auch, die Kommunen mit Anschubfinanzierungen zu unterstützen. Anders als sein SPD-Kontrahent Nils Schmid spricht sich Gastel für die Zahlung von Lohnersatzleistungen für pflegende Angehörige über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren aus. Bei der Finanzierung macht sich auch er für eine Bürgerversicherung stark. Wenn man Eigenanteile senken und dauerhaft deckeln wolle, müssten alle entsprechend ihres Einkommens einen Beitrag leisten. „Pflegebedürftigkeit darf kein Armutsrisiko sein“, betont Gastel.

Ähnlich argumentiert auch Hüseyin Sahin (Linke). Das Prinzip einer Bürgerversicherung, die Beiträge auf alle Einkommen erhebt, hält auch er für erforderlich. Er nennt es „Solidarische Pflegevollversicherung“, die keine Eigenanteile kennt und die private und gesetzliche Pflegeversicherung zusammenführen soll. Für Sahin zahlt sich das auf lange Sicht aus. Wenn weniger Menschen durch horrende Pflegekosten von Sozialhilfe leben müssten, würde das auch die Kommunen entlasten. „Wer sein Leben lang zum Erhalt der Gesellschaft beigetragen hat“, meint der Kandidat der Linken, „der muss im Alter auch von dieser Gesellschaft leben können.“

Renata Alt (FDP) hält den Personalnotstand für das größte Problem. Mit einer bedarfsgerechten Personalbemessung und besseren Karrierechancen will sie den Pflegeberuf attraktiver machen. Mehr Rechtssicherheit und Qualitätskontrolle fordert die Abgeordnete der Liberalen in der häuslichen Pflege durch ausländische Kräfte. Was die Finanzierung angeht, sagt Renata Alt: „Sie muss generationengerechter werden.“ Die Pflegeversicherung soll als Teilleistung zwar erhalten bleiben. Sie spricht sich jedoch - wie bei der Rente - für ein Drei-Säulen-Modell aus sozialer Pflegeversicherung plus privater und betrieblicher Vorsorge aus, das für Berufseinsteiger gelten soll. Für sie ist klar: „Wer in naher Zukunft Pflege braucht, für den kann das Modell nicht gelten.“

„Ein Pflegeheim sollte nur die letzte Möglichkeit sein“, sagt Kerstin Hanske (AfD). Um Familien zu stärken, will sie pflegende Angehörige Arbeitnehmern in der Sozialversicherung gleichstellen. Billige Arbeitskräfte aus dem Ausland seien keine Lösung, Schwarzarbeit kein Kavaliersdelikt. Eine Bürgerversicherung lehnt die AfD-Kandidatin ab, weil Gleichmacherei zu leeren Kassen führe. Stattdessen solle die neue Regierung den Rotstift anderswo ansetzen: etwa bei der Entwicklungshilfe für China. Gleichzeitig verspricht sie: „Mit uns wird es keine Erhöhung der Pflegebeiträge geben.“ Weil der Sozialstaat eben nicht alles leisten könne, müsse die Einwanderung geregelt werden.