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Nürtingen trauert um Hildegard Ruoff

Persönlichkeit Die Grande Dame der Nürtinger Kunstszene und Fotografin ist im Alter von 100 Jahren gestorben.

Hildegard Ruoff schätzte stets den Austausch mit Menschen.
Hildegard Ruoff schätzte stets den Austausch mit Menschen.

Nürtingen. Hildegard Ruoff zu kennen, war ein Geschenk. Und wer in den Genuss dieses Geschenks gekommen ist, wird kaum realisieren können, dass sie nun nie mehr die Türe des Hauses in der Nürtinger Schellingstraße mit dem für sie typischen offenen Lächeln öffnen wird. Die Grande Dame der Nürtinger Kunstszene, die Stifterin und Fotografin, ist in der Nacht auf vergangenen Freitag im Alter von 100 Jahren gestorben.

Wenn man sie gefragt hat, wie es ihr geht, sagte sie stets, sie sei einverstanden. Die wahre Dimension dieses Satzes erschließt sich bei tieferer Betrachtung: Übertreibungen in die eine oder andere Richtung waren ihr fremd - bei allem Lob und aller Achtung, die ihr in den vergangenen Jahrzehnten entgegengebracht wurden, und bei all den Beschwernissen, von denen sie freilich im Laufe eines so langen Lebens nicht verschont bleiben konnte. Das Einverstandensein, es steht für ein Maß, das sie zur Maxime des eigenen Lebens auserkoren hatte. So konnte sie auch stets wacker vorangehen, wenn es einer Sache diente, deren Wichtigkeit sie sich verschrieben hatte. Sie musste sich aber nie nach vorne drängen. Ehrungen nahm sie dankbar entgegen. Zu großer Stolz wäre ihr aber suspekt gewesen. Das galt, als sie 2009 als erste Frau die Bürgermedaille der Stadt Nürtingen in Gold erhielt. Oder als ihr 2015 Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg verlieh. Oder als sie 2017 den Daniel-Pfis­terer-Preis erhielt.

In ihrem Leben gab es viele Dinge, denen sie sich ganz verschrieben hatte. Da war zuvorderst die Stiftung Fritz und Hildegard Ruoff, die 2004 ins Leben gerufen wurde. Mit ihr schuf sie dem Werk ihres Mannes, des 1986 verstorbenen Nürtinger Bildhauers und Malers Fritz Ruoff, einen würdigen Platz für Gegenwart und Zukunft.

Und gleichzeitig schuf sie mit ihr einen lebendigen Ort der Begegnung. Das tat sie bis zuletzt mit einer Kraft und Lebendigkeit, mit der sie andere nicht mitnehmen musste - da diese Kraft und Lebendigkeit es anderen einfach machte, ihr einfach zu folgen. Jede Minute mit ihr war eine Bereicherung.

Gespräche waren ihr Leben

Jene Kraft zeigte sich auch schon bei der jungen Hildegard Ruoff. Bei ihrer Ausbildung zur Kunsthändlerin im Kunsthaus Schaller in ihrer Heimatstadt Stuttgart lernte sie Fritz Ruoff kennen, heiratete ihn und folgte ihm nach Nürtingen. Nach dem Krieg baute sie hier eine Leihbücherei der Arbeiterwohlfahrt auf - ein Lichtstreif von Bildung und Leben in dunkler, staubiger Zeit, der auch dem späteren Schriftsteller Peter Härtling seinen Weg leuchtete, wodurch Fritz Ruoff zu seinem Mentor wurde. Die Zusammenarbeit mit der Nürtinger Kunstsammlerin Auguste Pfänder brachte sie dazu, sich um die Kunstausstellungen der Stadt zu kümmern. Sie stellte Kontakte zu Künstlern her, pflegte sie, konzipierte Ausstellungen und betreute sie.

Mit Fug und Recht sagt deshalb nun der Nürtinger Oberbürgermeis­ter Johannes Fridrich, dass Hildegard Ruoff eine der prägendsten Figuren der Nürtinger Kunstszene war und auf lange Zeit bleiben wird. Vor allem der lebendige Austausch war ihr Lebenselixier - und sie nahm ihn nie als Selbstverständlichkeit hin, sondern als Geschenk. Denn den Segnungen ihres langen, erfüllten Lebens begegnete sie mit großer Dankbarkeit und Bescheidenheit. Andreas Warausch