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Pädagogik als Idylle

Zum Leserbrief „Digitale Unterrichtsformen“ vom 15. Juli

Herr Westermann schreibt „. . . Pädagogik ist der Weg, der Menschen zur Freiheit führt, sich selbst an das Richtige und Gute zu binden.

Mit Eindruck erheischenden Worten ändert Herr Westermann in seinen Vorstellungen die Aufgabe der Pädagogik.

Pädagogikinhalte sind abhängig von politischen Verhältnissen. Siehe zum Beispiel Nazi-Zeit, DDR, China. In der BRD ist es das Grundgesetz, das zur Freiheit führt und Freiheit gewährt. „Freiheit“ bedeutet, dass für den Bürger Möglichkeiten des Entscheidens und Handelns im Rahmen der Grundrechte bestehen. Das „Richtige“ und das „Gute“ sind Idealbegriffe. Was als „richtig“ und was als „gut“ angesehen wird, hängt in unserer pluralen und offenen Gesellschaft von persönlichen Interessen und von Gruppeninteressen ab. Damit erledigt sich „Selbstbindung“ an diese beiden nicht allgemein konkretisierbaren Idealbegriffe von selbst. Herr Westermann blendet Interessen und Konflikte in seinem idyllischen Pädagogikbild aus; beide sind legitim.

Abstrakte Höhenflüge helfen nicht weiter. Pädagogik muss Menschen die für ihre Lebensgestaltung erforderlichen Fertigkeiten, Wissen, Werte, Grundrechte, Regeln menschenwürdigen Umgangs miteinander, das Akzeptieren von Interessenkonflikten, et cetera vermitteln. Dies, um es jedem zu ermöglichen, „. . . das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. . .“ in „Bindung an die Verfassung“ zu realisieren: Das sollte Ziel der Pädagogik sein.

Rührend zu lesen, wie Herr Westermann Menschen bessern will. Dazu ein Zitat von Kant, auf den er sich unter anderem bezieht: „. . . Menschen, gutartig wie Schafe, die sie weiden, würden ihrem Dasein kaum einen größeren Werth verschaffen, als dieses ihr Hausvieh hat.“

Wolfgang Randecker, Lenningen