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Per App in die Vergangenheit eintauchen

Geschichte Am Burrenhof zwischen Erkenbrechtsweiler, Hülben und Grabenstetten ist der Kelten-Erlebnis-Pfad eingeweiht worden. Er führt zurück in eine Zeit, in der 10 000 Menschen am Heidengraben lebten. Von Thomas Schorradt

Vom geplanten Kelten-Erlebniszentrum gibt es bislang nur eine Animation. Der Kelten-Erlebnis-Pfad ist jetzt schon eingeweiht wor
Vom geplanten Kelten-Erlebniszentrum gibt es bislang nur eine Animation. Der Kelten-Erlebnis-Pfad ist jetzt schon eingeweiht worden. Grafik: Ott Architekten

Ein von zwei galoppierenden Pferden gezogener Streitwagen jagt über die raue Alb, ein Bauer pflügt mit einem Ochsengespann den kargen Boden und ein Händler wiegt mit einer Zangenwaage seine Ware. So könnte es gewesen sein, vor etwas mehr als zwei Jahrtausenden auf der vorderen Schwäbischen Alb. Dort, wo jetzt die Esslinger Kreisgemeinde Erkenbrechtsweiler mit ihren Nachbarn

„Die Kelten-App ist mittlerweile mehr als 1 000 Mal heruntergeladen worden.

Gerd Stegmaier

wissenschaftlicher Berater

Grabenstetten und Hülben (beide Kreis Reutlingen) ein Dreieck bilden, befand sich zu dieser Zeit ein keltisches Oppidum. Die vom Heidengraben umschlossene Siedlung, Handelszentrum und kultureller Mittelpunkt gleichermaßen, gilt als die damals größte Stadt Europas. Jetzt, mehr als 2 000 Jahre später, können Besucherinnen und Besucher in die Zeit der längst vergangenen Hochkultur eintauchen - zu Fuß und mit dem Smartphone oder Tablet in der Hand.

Ein in dieser Woche eröffneter, sechs Kilometer langer Kelten-Erlebnis-Pfad gibt Einblick in eine Epoche, in der innerhalb der mächtigen Befestigungswälle auf der Schwäbischen Alb rund 10 000 Menschen lebten. Mit Hilfe einer App, die fotografische und digitale 360-Grad-Rekonstruktionen enthält, erhalten die Nachgeborenen ein weitgehend reales Bild der damaligen Lebenswelt.

Detailgetreue, computergenerierte Bilder und Videosequenzen machen den Gang durch Zeit und Raum möglich: durch eine Zeit, in der um 100 vor Christus reges Leben auf der vorderen Alb geherrscht hat, und durch einen Raum, der mit seinen knapp 1 800 Hektar Ausdehnung auch heute noch schwer zu greifen ist. Der neue Erlebnispfad nimmt den Anspruch, die keltische Lebenswelt zu begreifen, wörtlich. Sehen, Fühlen, Hören - das ist der Dreiklang, der das Eintauchen in die Vergangenheit an den neun Erlebnis- und Wissensstationen begleitet. An jeder Station lässt sich der Blick in die Vergangenheit per Handkurbel aktivieren. Die App mit ihren zahlreichen 360-Grad-Panoramen, 16 Videosequenzen und 18 Hörspielen vertieft die an den Stationen abrufbaren Informationen.

„Unsere kostenfreie Kelten-App ist mittlerweile mehr als 1 000 Mal heruntergeladen worden. Und das, obwohl wir bisher keine Werbung dafür gemacht haben“, sagt Gerd Stegmaier vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen, der das Projekt Heidengraben wissenschaftlich begleitet. Für die seinen Worten zufolge in dieser Form europaweit einmalige Geschichtsaufbereitung haben drei Gemeinden rund 545 000 Euro in die Hand genommen, abzüglich der 280 000 Euro, die aus öffentlichen Fördertöpfen geflossen sind.

Keltenland Baden-Württemberg

Der Erlebnispfad gilt auch als Pilotprojekt für die vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ausgerufene Initiative „Keltenland Baden-Württemberg“. Der Heidengraben ist, ebenso wie die am Oberlauf der Donau bei Herbertingen gelegene Heuneburg, dazu ausersehen, als Leuchtturm über die Landesgrenzen hinaus zu strahlen. Entsprechend groß war der Aufmarsch an Prominenz anlässlich der Eröffnung. Ein Europaabgeordneter, zwei Bundestagsabgeordnete, zwei Regierungspräsidenten, zwei Landräte und drei Bürgermeister kurbelten sich an den Stationen in die Vergangenheit zurück - und blickten optimistisch in die Zukunft.

Am Burrenhof soll künftig nicht nur der Pfad, sondern ein multimediales Informations- und Erlebniszentrum die Besucherscharen anlocken. Ergänzt wird das in seiner Formensprache an ein keltisches Hügelgrab angelehnte Heidengrabenzentrum durch einen Aussichtsturm, von dessen Plateau aus ein direkter Einblick in den Bereich des Ritual- und Bestattungsplatzes am Burrenhof ermöglicht wird.

Die geschätzten Kosten für das Zentrum samt Parkplatz und Turm betragen 4,5 Millionen Euro. Bund, Land und Kreise leisten insgesamt 3,8 Millionen Euro an Zuschüssen. 700 000 Euro tragen die drei Gemeinden.