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Über Lernbrücken das Schuljahr retten

Bildung Nach dem ersten kompletten „Corona-Schuljahr“ tun sich bei vielen Schülerinnen und Schülern beträchtliche Wissenslücken auf. Schulen bieten gezielte Hilfe an, aber die Umsetzung ist schwierig. Von Thomas Zapp

education, high school and people concept - group of happy teenage students with notebooks learning at campus yard
education, high school and people concept - group of happy teenage students with notebooks learning at campus yard

Homeschooling, Distanz- oder Wechselunterricht: Wie immer die verschiedenen Unterrichts- und Lernformen auch heißen mögen, ihre Folgen sind ähnlich: Nach einem halben geht nun das erste vollständige „Corona-Schuljahr“ zu Ende und bei vielen Schülerinnen und Schülern herrscht Unklarheit über den eigenen Wissensstand. Forscher der Frankfurter Goethe-Universität haben jetzt in einer Studie festgestellt, dass die „durchschnittliche Kompetenzentwicklung“ im Distanzunterricht stagnierte und im „Bereich der Effekte von Sommerferien“ liege. Laut Bundesbildungsministerium haben Schülerinnen und Schüler im Homeschooling im Schnitt zwei Stunden pro Tag gelernt, bis zu 25 Prozent wiesen subs­tanzielle Lernrückstände auf.

Dagegen setzt die baden-würt­tembergische Landesregierung wie schon im vergangenen Jahr auf gezielte Nachhilfe mit sogenannten „Lernbrücken“ in den letzten beiden Wochen der Sommerferien. Der Verwaltungsaufwand ist ­enorm, ebenso wie die Kosten. Das Land hat etwa acht Millionen Euro für zusätzliche Personalkos­ten bereitgestellt. Aber trotzdem ist es schwierig, Lehrerinnen und Lehrer zu finden. „Ich kann jede Kollegin und jeden Kollegen verstehen, der nach diesem aufreibenden Jahr nicht bereitsteht, sondern Urlaub braucht“, sagt Clemens Großmann, Kirchheims geschäftsführender Schulleiter und Rektor der Freihof-Realschule. Es seien meis­tens Lehramtsstudentinnen oder pensionierte Lehrer, die rekrutiert werden. Eine Junglehrerin, die im nächsten Schuljahr eine Klasse übernimmt, konnte Andrea Bizer, Rektorin der Freihof-Grundschule, für die Lernbrücke gewinnen. „Dadurch kann sie zwei Wochen früher anfangen zu unterrichten und kommt früher ins Beamtenverhältnis“, erklärt sie.

Die Lernbrücke der Freihof-Schule findet gemeinsam mit der Eduard-Mörike-Schule in ­Ötlingen statt. „Dass Schulen kooperieren können, ist eine große Hilfe“, sagt Andrea Bizer. Sie warnt aber vor zu großen Erwartungen an die Lernbrücken: „Die sind nicht für alle Kinder geeignet. Wenn es Probleme mit dem Lernverhalten gibt, kann das dort nicht aufgefangen werden“, sagt sie. Denn die ­Kinder kommen jahrgangsübergreifend in die Lernbrücken zu Lehrerinnen, die sie wahrscheinlich nicht kennen. Während die Grenzen des Programms in den politischen Verlautbarungen nicht zur Sprache kommen, zeigt die Praxis: Über die Wissensvermittlung und Wiederholung hinaus können weitergehende Lernprobleme in den zwei Wochen nicht behoben werden.

An der Kirchheimer Freihof-Realschule haben sich 58 Schülerinnen und Schüler angemeldet, rund zehn Prozent der Schülerschaft. Beim erstmaligen Angebot im vergangenen Jahr waren es rund 20 Prozent weniger, die das Angebot angenommen haben. Damals hatten Eltern und Schüler aber weniger Zeit für die Entscheidung. „Bei einigen war es so, dass sie ihre geplanten Urlaube oder Heimatbesuche nicht absagen wollten“, erklärt Schulleiter Clemens Großmann. Auch das muss man akzeptieren, denn eine Verpflichtung gibt es nicht. Im zweiten „Corona-Schuljahr“ ist das Angebot aber auf deutlich mehr Akzeptanz gestoßen, das stellt auch Lucia Heffner fest, Schulleiterin des Kirchheimer Schlossgymnasiums. Waren es dort im vergangenen Sommer 40 Schülerinnen und Schüler, sind es in diesem Jahr 107, also knapp zehn Prozent der gesamten Schule. „Wir hatten in diesem Jahr viele Gespräche mit den Betroffenen geführt“, sagt Lucia Heffner, die nun die Schüler an das Kultusministerium gemeldet hat.

Mit dem aktuellen Modellprojekt „Überbrücke die Lücke“ hat die Landesregierung schon nach den Pfingstferien einen ersten Schritt getan. Dazu kann das Kultusministerium bislang auf Nachfrage vermelden, dass 600 Lehramtsstudenten und -studentinnen mit etwa 300 Schulen in Kontakt standen. Während die „Überbrückung“ schon läuft, wird es eine verbindliche Anmeldung zu den Lernbrücken erst Mitte Juli geben, dann kann das Kultusministerium auch Zahlen nennen.

Viele Eltern werden aber auf eigene Initiative und eigene Kos­ten aktiv, auch werben Anbieter wie die „Schülerhilfe“ derzeit ver­stärkt. „Knapp das Doppelte“ an Anmeldungen schätzt Ulrike Biedermann von der Kirchheimer „Pädagogischen Schüler-Förderung“. „Wir stellen fest, dass gerade viele Grundschüler viele Wissenslücken haben“, sagt sie. Die Grundlagen des Schreibens und Lesens seien vor allem für ausländische Kinder im Online-Unterricht schwer vermittelbar. Nicht alle Kinder haben eigene Zimmer, manche müssten mit jüngeren Geschwistern den Raum teilen. Bei älteren Schülern stellte man häufig Motivationsprobleme und Antriebslosigkeit nach Monaten des Homeschoolings fest. Allerdings hängt diese Art von Hilfe auch von den finanziellen Möglichkeiten der betroffenen Familien ab. Die Hoffnung auf eine weitere Normalisierung ab Herbst teilt Ulrike Biedermann wohl mit den meisten Eltern und Schülern.