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Vom Tisch, aber nicht aus der Welt

Sozialwohnraum Der Kreistag beschließt die Erhöhung von Mietobergrenzen für Bedürftige. Die Wohnungsnot und der politische Streit darüber bleiben. Von Bernd Köble

Wie viel darf eine Wohnung kosten, deren Miete der Staat übernimmt? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Erst recht nicht in einem Landkreis wie Esslingen, wo der Preis für Wohnraum seit Jahren durch die Decke schießt. Kommunen, Sozialverbände, Privateigentümer, Mieter und Leistungserbringer - sie alle reden ein Wörtchen mit. Die Erhebung der Daten bei der Festlegung von Mietobergrenzen ist ein komplexes Verfahren, das nicht nur der örtlichen Entwicklung am Markt, sondern auch Sozialgerichten standhalten muss. Die politische Debatte darüber ist deshalb im Kreistag und seinem Sozialausschuss seit Jahren von tiefen ideologischen Gräben durchzogen.

Jetzt hat sich das Kreisparlament auf eine Erhöhung der Miet­obergrenzen um 3,6 Prozent geeinigt, die ab 1. August gelten soll. Das entspricht dem Anstieg des Mietpreisindexes im Land und soll deshalb Rechtssicherheit garantieren. Eine knappe Mehrheit aus Grünen, SPD, Linken und AfD hatte im November vergangenen Jahres eine Erhöhung um fünf Prozent gefordert, was nicht nur von CDU und Freien Wählern, sondern auch von der Verwaltung kritisiert wurde. Begründung: Eine solche Erhöhung ohne entsprechende Datengrundlage sei rechtswidrig. Die Marktentwicklung im Land, die auch bei der nächsten Fortschreibung in zwei Jahren als Richtschnur dienen soll, gilt nun als rechtlich gesicherter Kompromiss und sorgt für einen politischen Waffenstillstand. Zumindest bis auf Weiteres. Zum 1. August 2025 soll die Lage am Wohnungsmarkt komplett neu bewertet werden.

Bei der jetzigen Fortschreibung der Richtwerte wurden im vergangenen halben Jahr Kommunen, Wohnbaugesellschaften und rund 10 000 Haushalte im Kreis befragt. Aufgeteilt in sieben Vergleichsräume mit unterschiedlicher Marktlage. Das sogenannte „schlüssige Konzept“ stammt aus der Feder des Stuttgarter Büros Rödl & Partner. Ein Unternehmen, das auch private Wohnbaugesellschaften berät, was in der Vergangenheit immer wieder für Kritik gesorgt hatte. Linken-Fraktionschef Peter Rauscher warb dafür, das Beratergeld künftig zu sparen. „Was wir brauchen, ist eine kreisweite Strategie, um aus Spekulationsobjekten Wohnraum zu machen.“ Landrat Heinz Eininger hingegen verteidigte das Verfahren. Man habe dabei „größtmögliche Transparenz und Offenheit“ gezeigt. Allerdings hatten sich an den Gesprächen nur zehn der insgesamt 44 Städte und Gemeinden im Kreis beteiligt, wie Eininger bestätigte.

Brandbrief aus Nürtingen

Für Unmut sorgte das Ergebnis in Nürtingen. Dort führte die Erhebung dazu, dass die Mietobergenzen für Ein-Personen-Haushalte sanken - als einzige Kommune im Landkreis. Nürtingens Sozialbürgermeisterin ­Annette Bürkner hatte sich daraufhin in einem Brandbrief an Politik und Verwaltung gewandt, um auf die Sozialwohnungsnot in der Hölderlinstadt hinzuweisen. Sie fand dort allerdings wenig Gehör. Das Problem in seiner Heimatstadt sei hausgemacht, befand der Nürtinger CDU-Kreisrat Thaddäus Kunzmann. Jüngstes Beispiel: Vor wenigen Tagen erst habe ein Ausschuss des Gemeinderats beschlossen, das Grundstück in der Schafstraße, wo beim Feuer in zwei Gebäuden mit Sozialwohnungen im November zwei Menschen ums Leben kamen, nicht mehr zu bebauen. Kunzmann spricht von einem „Luxusbeschluss“, der nicht zu diesem Schreiben passe. Die deutliche Erhöhung der Mietobergrenzen, für die sich alle Fraktionen ausgesprochen hatten, sieht Kunzmann kritisch: Es gehe auch darum, den Markt nicht für diejenigen zu verknappen, die für ein bescheidenes Einkommen jeden Tag zur Arbeit gingen.

Nach Ansicht von Grünen-Sprecherin Margarete Schick-Häberle kommt der Kreis der Realität am örtlichen Wohnungsmarkt mit der Erhöhung ein Stück näher. „Damit steigen die Chancen für Familien und Alleinerziehende, dass ihre Mietkosten übernommen werden“, sagte sie. Auch die SPD lobte den Beschluss: „Der Mindestlohn reiche bei vielen nicht mehr aus, um die Miete zu bezahlen“, stellte Fraktionssprecherin Solveig Hummel fest. Mit Blick auf die Neubewertung 2025 betonte sie: „Da erwarten wir mehr Transparenz.“