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Was nach 70 Jahren bleibt

Lesung Tina Stroheker hat im Max-Eyth-Haus ihr Buch „Inventarium. Späte Huldigungen“ vorgestellt, eine Art Autobiografie.

Kirchheim. Vor zehn Jahren war Tina Stroheker zu Gast beim Kirchheimer Literaturbeirat, um aus ihrem Gedichtband „Was vor Augen liegt“ vorzulesen, einem Rückblick auf ihr lyrisches Schaffen. Bei ihrem jetzigen Besuch anlässlich ihres siebzigsten Geburtstages legt sie wieder einen Band mit einer Bilanz vor. Diesmal weist sie auf konkrete Erinnerungsstücke hin: Fotografien von Gegenständen, die zu ihrem Leben gehören. Jeder fotografierte Gegenstand ist von ihr in einem kurzen Prosatext begründet und erklärt.

Das überrascht. Gegenstände, auch ganz banale und alltägliche, bekommen einen bedeutenden Stellenwert im Leben einer Schriftstellerin, die ganz in ihrem Beruf, der Beschäftigung mit Sprache, aufging. Stroheker stellt als Motto zwei Zitate voran: Hannah Arendt - „Gegenstände sind die eigentlich menschliche Heimat des Menschen“, und Adrian Piper - „Everything will be taken away“. In der Spannung dieser beiden Aussagen habe sie sich befunden, als sie mit ihrem Zwillingsbruder das elterliche Haus geräumt hat: Man muss notwendigerweise viel wegwerfen und hängt doch an Einzelstücken, weil sie mit Erinnerungen behaftet sind.

Dies habe für sie den Anstoß gegeben, bei den eigenen Gegenständen Inventur abzuhalten. So entstand eine Art Autobiografie. Um dieses Buch vorzustellen, genügt nicht eine „Lesung“, sondern erfordert eine Projektion der fotografierten Gegenstände. Im Buch sind sie alphabetisch geordnet, wie es sich für eine Inventur gehört, von A wie „Arche“ bis Z wie „Zeugnis“. Für die Präsentation bündelte die Autorin zweckmäßigerweise ihre Auswahl in drei Gruppen: „Kindheit und Reifezeit“, „Nippes“ und „alltägliche Dinge“.

Was eine Sanduhr auslöst

Die kurzen Prosatexte bestehen meist aus drei Ebenen. Zuerst ist von der Funktion des Gegenstandes die Rede, dann von den Erinnerungen, die er auslöst, schließlich gibt der Gegenstand Anlass, auf Lebensvorgänge allgemeiner Art zu sprechen zu kommen. So ist anlässlich einer abgebildeten Sanduhr zuerst vom Eierkochen die Rede. Sie erinnert aber auch an ihren Vater, der damit die Zeit kontrollierte. Schließlich gibt die Sanduhr den Anstoß, sich an Vanitas-Gemälde zu erinnern, die ermahnen, dass der Mensch sterben muss.

Tina Stroheker meint bescheiden, dass jeder ein solches Buch schreiben könne. Nun ja, ein Inventarium von Gegenständen kann jeder herstellen, doch nicht jeder kann solche Texte schreiben. In diesen zitiert sie immer wieder aus Literatur, Kunst und Philosophie. Sie hat im Laufe des Sammelns bemerkt, dass eine Art Autobiografie aus Mosaiksteinen entsteht. So erfährt der Leser etwa, dass sie eine Zwillingsschwester hat und sich als junge Frau von Gott verabschiedet hat, er aber irgendwie immer noch da ist.

In dem „Prachtband“ gehört jedem Abbild eines Gegenstand eine volle Seite. So ist das Buch ein Denkmal der Buchkultur - auch deswegen: Strohekers Verlag „Klöpfer und Meyer“ wird das nächste Jahr nach eigenen Angaben nicht überleben.Ulrich Staehle