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Wild kommt im Winter in Stress 

Natur Rehen und anderen Tieren fehlen immer mehr Rückzugsorte, weil Erholungssuchende sich abseits von Wegen aufhalten. Schneeschuhwanderer sollten neben den Loipen laufen. Von Anke Kirsammer

"Erholungssuchende sind willkommen", sagt der Ranger des Landkreises Esslingen, Martin Gienger. Lässt es die Schneelage zu, setz
"Erholungssuchende sind willkommen", sagt der Ranger des Landkreises Esslingen, Martin Gienger. Lässt es die Schneelage zu, setzt er sich auf den Pisten-Bully. Starke Verwehungen vereitelten in diesem Winter bislang ein ums andre Mal den Plan, die Loipen zu präparieren. Archivfoto: Carsten Riedl

Wochenende für Wochenende stürmen Tagestouristen die Schwäbische Alb. Schneeschuhwanderer sind querfeldein unterwegs, mit Stirnlampen ausgestattete Langläufer drehen ihre Runden und Ausflügler stapfen abseits der Wege durch den Schnee. - Das alles setzt das Wild im Winter massiv unter Druck.

Martin Gienger, einer der beiden Ranger des Landkreises Esslingen, muss Menschen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass Rehe, Füchse, Hasen, Wildschweine und Co Schutzräume brauchen. Diese Woche begegnete er einer Frau am Grillplatz im Schopflocher Kämmerle. Dort war sie mit vier Hunden unterwegs und hielt sich im Unterholz auf. „Wenn alles zugeschneit ist und dazu die unteren Schichten gefroren sind, haben die Tiere Notzeit“, verdeutlicht Martin Gienger. „Werden sie ständig aufgescheucht, verbrauchen sie viel Energie.“

Energie, die sie nur schwer ersetzen können, weil sie kaum Nahrung finden. Rehe etwa ernähren sich das Jahr über bevorzugt von Kräutern. „Sie sind bekanntermaßen schleckig“, so der Ranger auf gut Schwäbisch. Im Winter verkleinert sich ihr Magen, der Energiehaushalt wird heruntergefahren. Liegt lange Schnee, müssen sie von ihren Fettreserven zehren, weil sie kaum etwas Essbares finden, oder sie knabbern zum Ärger von Waldbesitzern an den Knospen und Trieben von jungen Bäumen. Den Winter bezeichnet Martin Gienger deshalb auch als „Nadelöhr für das Wild“. Erklärt er den Leuten die Zusammenhänge, zeigen die meisten indes Verständnis. So auch die Frau im Kämmerle.

Um den Waldbewohnern zu erleichtern, durch das „Nadelöhr“ Winter zu kommen, darf an manchen Stellen zugefüttert werden. Das sieht das Jagd- und Wildtiermanagement des Landes vor. Wie Daniel Ulmer, Wildtierbeauftragter des Landkreises Esslingen, sagt, gibt es etwa auf der Lenninger Alb eine solche Ausnahmegenehmigung. Herrsche an den Stellen, wo die Jäger das Futter auslegen, aber Besucherdruck traut sich das Wild nicht an Apfeltrester und andere rettende Nahrung heran.

Martin Gienger und Daniel Ulmer betonen: Bleiben Spaziergänger und andere Ausflügler auf den Wegen, ist das kein Problem. Darauf stellten sich die Tiere ein. Sie bräuchten aber Rückzugsmöglichkeiten. Wichtig sei auch, dass Hundehalter ihre Vierbeiner unter Kontrolle hätten. In Naturschutzgebieten müssten sie angeleint werden, hebt der Ranger hervor.

Bauchschmerzen bereiten Martin Gienger Schneeschuhläufer, die kreuz und quer durch den Wald und Lichtungen streifen. Es gehe auch anders: „Viele laufen neben den Loipen. Das ist vorbildlich.“ Die Loipen würden extra beschildert und naturverträglich in die Landschaft gezogen. Werden die Spuren aber auch bei Dunkelheit von Langläufern genutzt, bedeutet das zusätzlichen Stress für das Wild. „Die Zeiten, in denen sich die Tiere bewegen können, um Futter zu suchen, werden immer kürzer“, gibt Martin Gienger zu bedenken. Der Ranger stellt klar: „Die Leute können gerne kommen, um auf der Alb Erholung zu suchen.“ Bei ausreichend Schnee seien deshalb die Loipen gespurt und die Wege freigeräumt, damit die Menschen die Winterlandschaft genießen können.

Auch Kreisjägermeister German Kälberer appelliert an Ausflügler, die Ruhezonen des Wilds zu beachten. Das gelte im Kirchheimer Talwald genauso wie auf der Schwäbischen Alb. Denn auch dort fänden die Tiere im Winter nicht so viel zu fressen wie im übrigen Jahr. Ein Anliegen ist ihm außerdem die Bitte an Autofahrer, den Fuß vom Gas zu nehmen. So ereigneten sich immer wieder Wildunfälle an der S-Kurze am Naturschutzzentrum Schopflocher Alb. Besonders gern hielten sich Rehe dort an den Hecken auf. Werden sie, wodurch auch immer, aufgeschreckt, laufen sie nicht selten blindlings über die Straße.

Reh im Winter, Schnee, Wildtiere, Spaziergšnger, Wildbeobachtung
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Liegt viel Schnee, finden Rehe wenig Nahrung. Der Winter ist für das Wild wie ein "Nadelöhr". Foto: Dieter Ruoff
Liegt viel Schnee, finden Rehe wenig Nahrung. Der Winter ist für das Wild wie ein "Nadelöhr". Foto: Dieter Ruoff