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„Wir sind an die Grenzen gekommen“

Covid-19 Ist es die Ruhe vor dem Sturm der vierten Welle? Zwei Mitarbeiter des Esslinger Gesundheitsamts berichten, wie sie die Corona-Pandemie erleben – und wie sie Kontaktpersonen von Infizierten aufspüren. Von Petra Pauli

Miriam Dietrich und Simon Schmid kümmern sich im Esslinger Gesundheitsamt um Corona-Infizierte.  Foto: Roberto Bulgrin
Miriam Dietrich und Simon Schmid kümmern sich im Esslinger Gesundheitsamt um Corona-Infizierte. Foto: Roberto Bulgrin

Ob im Restaurant, auf dem Fußballplatz oder am Rande einer Veranstaltung - sich in eine Liste mit Namen, Anschrift und Telefonnummer einzutragen, ist längst zur Corona-Routine geworden. Bleiben diese Einträge folgenlos und man hört nie mehr etwas davon, ist alles gut gegangen: Es wurden keine Infektionen bekannt. Anders sieht es bei einem Coronafall aus. Dann müssen die Kontaktpersonen ausfindig gemacht werden. Im Esslinger Gesundheitsamt gibt es dafür einen eigenen Bereich, wo die Listen der infrage kommenden Personen abtelefoniert werden. Oft erstellen auch die Infizierten selbst eine Aufstellung. Derzeit können relevante Personen am gleichen Tag ermittelt werden. Zu Spitzenzeiten wie etwa im April mit bis zu 360 Neuinfizierten am Tag war das aber nicht mehr möglich. „Wir waren dann oft 48 Stunden in Verzug“, sagt Simon Schmid, Teamleiter des Kontaktpersonenmanagements. Zeit, in der das Virus sich möglicherweise weiterverbreiten konnte.

Hilfe von der Bundeswehr

Ohne externe Dienstleister, die flexibel eingesetzt werden konnten, und ohne Mitarbeiter, die aus anderen Abteilungen des Landratsamtes abgezogen wurden, wäre die Suche nach Kontakten erst recht nicht mehr zu stemmen gewesen. Zudem haben Soldaten der Bundeswehr und Freiwillige die Arbeit unterstützt. Auch die jeweilige Ortspolizeibehörde hat zu helfen versucht. Oft wird die Nachverfolgung zur Detektivarbeit, etwa, wenn eine Adresse fehlt oder wenn ein Infizierter sich mit einem anderen zwar von Angesicht zu Angesicht unterhalten hat, aber trotzdem nur dessen Vornamen kennt. „Es kommt leider auch vor, dass man jemanden nicht erreicht“, sagt Schmid.

Wie hoch das Übertragungsrisiko ist, hängt von vielen Faktoren ab: Wurden Masken getragen? Wie groß war der Raum und wie viele Personen waren anwesend? Wie lange bestand der Kontakt? All das müssen die Ermittler des Gesundheitsamtes herausfinden. Es sei schon vorgekommen, dass die Angaben deutlich voneinander abwichen, berichtet Schmid. „Aber überwiegend geht es gut. Die Bürger sind sehr kooperativ“, sagt er. Auch Miriam Dietrich hat festgestellt, dass die Menschen inzwischen aufgeklärter sind. Die 25-Jährige ist beim Gesundheitsamt Teamleiterin der Fallermittlung, die sich um den Infizierten selbst kümmert. „Viele sagen am Telefon gleich, dass sie unseren Anruf schon erwartet haben“, erzählt sie, meistens werde die Kontaktpersonenliste noch am gleichen Tag geliefert. Die Ermittler, die sich anhand eines festen Gesprächsleitfadens durchfragen, versuchen auch Rückschlüsse und Verbindungen zu anderen Ausbrüchen zu ziehen. Oft ist das aber nicht möglich.

Die Coronawellen waren für die Mitarbeiter eine große Belas- tung. „Wir sind alle an unsere Grenzen gekommen - und teilweise darüber hinaus gegangen“, erzählt Miriam Dietrich. Arbeitstage mit zehn bis zwölf Stunden seien normal gewesen. Auch an den Wochenenden kann das Gesundheitsamt nicht pausieren. „Wir wollen das alles nicht nochmals erleben“, ergänzt ihr Kollege. Aus ihrer Sicht sind Impfungen die einzige Möglichkeit, eine vierte Welle zu brechen. Dass Impfungen Schutz bieten, zeige sich an den Alten- und Pflegeheimen, wo die Bewohner zu den Ersten gehörten, die ein Vakzin bekamen. „Wo das Virus war, dort gab es auch eine Häufung von Todesfällen“, sagt Dietrich über die Zeit vor den Impfungen. Dagegen kam es zuletzt überhaupt nicht mehr zu Ausbrüchen in Heimen. Das Pandemiegeschehen habe sich auf Schulen, Kitas und Betriebe verlagert. Betroffen sind auch Reiserückkehrer. „Je mehr Menschen geimpft sind, desto schlechter kann sich das Virus weiterverbreiten“, wirbt Dietrich dafür, sich impfen zu lassen. Man schütze andere, vor allem die, die sich nicht impfen lassen können wie Krebspatienten oder Kinder.

Zuletzt wurden Fälle bekannt, bei denen sich Menschen trotz Impfung angesteckt haben. Diese Impfdurchbrüche würden den Erfolg der Kampagne nicht schmälern, meinen die beiden Experten. „Man kann davon ausgehen, dass die Viruslast bei Geimpften geringer und die Virusausscheidung verkürzt ist“, sagt Simon Schmid.

Impfen geht auch ohne Termin

Spontan impfen: Ab sofort wird in den beiden Kreisimpfzentren in Esslingen und an der Messe ohne Termin geimpft, zudem gibt es während der Sommerwochen viele Vor-Ort-Impfaktionen. Dafür wird auch ein Impfbus eingesetzt, der durch den Landkreis rollt. Die genauen Termine gibt es auf der Homepage des Landkreises, leicht zu finden auf der Startseite. Speziell für kleinere und mittlere Betriebe werden die Kreisimpfzentren in Kooperation mit der IHK und der Kreishandwerkerschaft Esslingen-Nürtingen an bestimmten Tagen offene Impfslots zum „After-Work-Impfen“ bereitgehalten.

Notwendige Unterlagen: Zum Impftermin müssen der Personalausweis und die Krankenkassen-Versichertenkarte sowie - falls vorhanden - der Impfpass und der Allergieausweis mitgebracht werden. Informationen rund ums Impfen gibt es in verschiedenen Sprachen auf der Homepage des Landratsamtes.

Genesenennachweis: Als genesen gilt, wer in den letzten sechs Monaten positiv mittels PCR, PoC-PCR oder eines anderen Nukleinsäurenachweises auf SARS-CoV-2 getestet wurde und das Testergebnis mindestens 28 Tage zurückliegt. Es gibt bislang keinen speziellen „Genesenen-Ausweis“. Mögliche Nachweise können der PCR-Befund eines Labors, ein ärztliches Attest oder Bescheinigungen von Behörden sein, sofern sie die Testart und das Meldedatum enthalten.pp