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Wissler umwirbt Rot und Grün

Wahlkampf Die Bundeschefin und Spitzenkandidatin der Linken sieht ihre Partei als „Motor eines Politikwechsels im Bund“. Bei einer Kundgebung in Esslingen stellt sie Forderungen aus dem Wahlprogramm vor. Von Peter Stotz

Engagierte Rede vor überschaubarem Publikum: Janine Wissler.Foto: Peter Stotz
Engagierte Rede vor überschaubarem Publikum: Janine Wissler.Foto: Peter Stotz

Der Bundestagswahlkampf war über Monate eher als ein laues Lüftchen wahrgenommen worden. Nun, rund zwei Wochen vor der Wahl, nimmt der politische Wettbewerb an Schärfe zu. Bei einer Kundgebung auf dem Bahnhofsplatz in Esslingen warb die Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler, für die Positionen ihrer Partei. Möglicherweise war der Zeitpunkt am Nachmittag nicht optimal gewählt, denn nur etwa 50 Zuhörer fanden sich zu der Veranstaltung mit Wissler ein.

Die Co-Bundesvorsitzende und Spitzenkandidatin der Linken besuchte im Rahmen ihrer Wahlkampftour quer durch die Republik mehrere Städte im Südwes- ten. In Esslingen unterstützte sie mit einer engagierten Rede die Linken-Kandidaten Hüseyin Sahin aus dem Wahlkreis Nürtingen und Anil Besli, der im Wahlkreis Esslingen antritt.

„Die Linke möchte der starke Motor für einen Politikwechsel im Bund sein“, sagte Wissler und stellte klar, dass sich die Linke nicht als Fundamentalopposition sieht. Vielmehr sei es für sie denkbar, eine Politik der sozialen und solidarischen Gerechtigkeit in einer Koalition als Juniorpartner mitzutragen. „Wenn SPD und Grüne ihre Wahlversprechen für die Menschen wahr machen wollen, dann sollten sie sich nicht an die CDU oder die FDP ranwanzen. Mit Rot-Rot-Grün aber geht das“, sagte Wissler.

Dabei sollten sich die Wähler nicht nur an in der Vergangenheit geäußerten Forderungen - wie etwa dem Austritt aus der Nato - orientieren. „Außenpolitik ist doch viel mehr“, sagte sie. Afghanistan habe gelehrt, dass man mit kriegerischen Mitteln keinen Frieden schaffen könne. „Aber wir müssen auch über eine gerechte Weltwirtschaftsordnung reden, über eine menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen.“ Solidarität bedeute auch, die Lizenzen für Coronaimpfstoffe freizugeben. „Es nützt doch nichts, wenn wir durchgeimpft sind und in Afrika gerade einmal vier Prozent der Bevölkerung“, sagte Wissler. In zentralen Politikfeldern müsse umgesteuert und manches neu justiert werden, forderte sie. So sollen nach ihrer Vorstellung prinzipiell der Mensch, dessen Würde und Wohlergehen das Bestreben des politischen Handelns sein, nicht der Profit. Dafür müsse dringend in den Wohnungsbau, die Gesundheit, das Bildungswesen, die Mobilität und den Klimaschutz investiert werden.

„Die Menschen brauchen gute Arbeit, gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Dass Menschen in einem der reichsten Länder der Welt Angst vor Altersarmut haben, zeigt die Wertigkeit der Arbeit derzeit. Die Menschen sollen nicht nur nicht in Armut, sondern in Würde leben“, forderte Wissler. Zudem müsse über Einkommens- und Steuergerechtigkeit geredet werden. „Es steht in keiner Relation, wenn eine Hebamme 300 Jahre arbeiten muss, um das Jahresgehalt eines Dax-Vorstandsvorsitzenden zu bekommen“, sagte sie. Ohne eine gerechte Verteilung des Reichtums und ein Umlenken der Subventionen gehe es nicht, seien die meisten gesellschaftlichen Aufgaben künftig nicht zu stemmen. Die Linke wolle dafür die Vermögensteuer wieder einführen, aber die meisten Menschen im Land könnten deshalb trotzdem ruhig schlafen. „Die erste Million ist frei, alles was darüber liegt, wird mit einem Prozent besteuert. Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt“, sagte Wissler.

Mietendeckel sei notwendig

Auch bei der Mobilität mit „kos- tenlosen Bahn- oder Busverbindungen für jedes Dorf bis in die Nacht“, beim Klimaschutz, bei dem sie nicht noch einmal vier verlorene Jahre wolle, und bei der Wohnungspolitik müsse etwas geschehen. Zum Schutz der Mieter müsse ein Mietendeckel eingeführt werden, wichtiger noch sei aber, die Wohnungskonzerne zu verstaatlichen. „Auch da kann ich beruhigen: Wer nicht mindestens 3000 Wohnungen besitzt oder gemeinnützig ist, braucht sich keine Sorgen zu machen. Da wollen wir gar nicht ran“, trat sie Vorhaltungen entgegen, die Linke wolle alle Hausbesitzer enteignen. „Der Konzern Vonovia hat letztes Jahr eine Milliarde Euro an die Aktionäre ausgeschüttet und die Mieten um 4,6 Prozent erhöht. Wer enteignet hier eigentlich wen?“, fragte Wissler.